Hallo! Gratulation zum Doppel-9a-Durchstieg. Du hast bereits mehrere solcher Doppeldurchstiegstage mit 8c und 8c+ Routen hingelegt. Wieso immer zwei an einem Tag?
Das frage ich mich hinterher auch immer. Ich habe das nie geplant, außer vielleicht in Kalymnos, als wir weiterreisen mussten (Gora Guta Gutarak und Inshallah, beide 8c+, Anm. d. Red.). Aber ich projektiere gerne mehrere Routen, um nicht in einer ins Übertraining zu kommen und dann ergeben sich eben solche Situationen, in denen man zwei harte Touren durchstiegsreif projektiert hat.

Fotostrecke: Pirmin Bertle in seinen 9a Erstbegehungen

Fotos: © Adrian Stämpfli

Trotzdem muss doch dann alles perfekt laufen. Unendlich viele Versuche pro Tag hast du ja auch nicht.
Das sind dann halt auch Tage mit guten Conditions und außerdem löst so ein Durchstieg in der Tasche natürlich auch die Anspannung. Dazu kommt aber irgendwie ein spezielles Plus bei der Konzentration. Die Fehlerrate ist ziemlich niedrig.

Bereitest du dich auf Routen in diesem Niveau mit speziellem Training vor?
Höchstens mit ein paar Kraftausdauereinheiten zusätzlich. Aber mit Routen wie den beiden hier, hat man ohnehin ein ausgeglichenes Training. Boulder bis Fb8b, Maximalkraftausdauerpassagen mit 15 Zügen ohne irgendeine Art von Rastpunkt und immerhin noch 7c+ nach einer 9a und einem nur mittelmäßigen Ruhepunkt, wie in Chromosome Y. Es ist also alles dabei. Vielleicht würde es sogar etwas bringen ans Campusboard zu gehen, aber ich überwinde mich selbst nur schwer dazu…

Seit einigen Wochen bist du Vater. Hast du denn überhaupt Lust konsequent viel zu trainieren bzw. zu klettern, mit einem Säugling im Haus?
Lust hätte ich vielleicht schon, solange das Training am Fels stattfindet, aber die Nächte sind natürlich weniger erholsam und auch tagsüber hat man dann ja ein paar andere Dinge zu tun. Wobei da natürlich ein paar Stunden intensives Bouldern oft besser reinpassen, als ein ganzer Tag am Fels. Solange ich allerdings heiß auf meine Projekte bin, leidet die Motivation keineswegs.

Das prophezeite Ende der hohen Grade als Vater tritt also noch nicht ein?
Naja, offensichtlich nicht (lacht). Ich werde sicher nicht mehr das ganze Jahr Vollgas geben, aber wenn die Conditions stimmen, stehe ich auch in den nächsten Jahren am Einstieg. Ich habe ja auch noch was vor!

Und zwar?
An der Tribune warten noch einige schöne Linien auf ihre Befreiung wie Fruit du rapport (ca. 9b) oder der Direkteinstieg zu Chromosome X, der vermutlich noch schwerer ist. Und auch Projekte im Grad 9a gibt es noch. Wie z.B. den Donjon… (schmunzelt) (Donjon de Naheulbeuk, 9a, Anm. d. Red.)

In den hast du schon 200 Versuche gesetzt und ihn immer noch nicht rotpunkt geklettert…
Nein, ich habe mich ihm phasenweise immer wieder angenähert, bin aber nie über den letzten schweren Zug hinaus gekommen. Diese Rarität gibt es in der Schweiz noch: Routen neueren Datums, die echte Bretter sind.

Willst du damit sagen, dass es das anderswo nicht mehr gibt?
Vielleicht schon, irgendwo gut versteckt. Aber vergleicht man den Donjon mit einer neuen 9a irgendwo im Süden Europas, dann liegt da mindestens ein ganzer Grad dazwischen. Nicht dass ich auch gerne eine 8c+ in fünf Versuchen klettere… Aber auch Chromosome X und Y sind noch deutlich schwerer als alles, was ich als 9a wiederholt habe. Und der Donjon ist ja sogar offiziell 8c+ bewertet. Der wartet mit zwei Fb8a und einem Fb6c-Boulder in 25 Zügen hintereinander auf. Ohne die geringste Rastmöglichkeit. In Kalymnos z.B. besteht eine 8c+ aus einer Fb7c+ Passage und einer 8a oben dran. Mit Knieklemmern alle drei Meter. Zwischen Nord und Süd tut sich inzwischen eine immer größere Kluft auf, die z.T. leicht mit einem ganzen Grad umgerechnet werden kann.

Noch einmal zurück zur Tribune. Dort gibt es inzwischen über 20 Routen ab 8b. Und das, obwohl erst vor sieben Jahren die ersten Haken gesetzt wurden. Ist das dann alles sauber bewertet und erschlossen?
Spielst du auf die in der Schweiz sehr beliebten Gerüchte an, die Tribune sei komplett geschlagen? Ich will nicht bestreiten, dass in ein paar Siebenern eine potenziell sehr harte Passage “angepasst" wurde. Das war retrospektiv ein bisschen unglücklich. Man wollte halt das Angebot in diesem Segment etwas ausbauen. Insgesamt gibt es an der Tribune aber nicht mehr geschlagene Griffe als z.B. im Lehn und im Leben nicht so viele wie in Céüse, Siurana oder erst Bioux. Da haben einige Leute, mit sehr wenig Ahnung, einen ziemlichen Scheiß verbreitet. Leider ist es so, dass Kletterer, die aufgrund der seriösen Bewertungen und des komplexen Stils dort ordentlich auf die Mütze bekommen haben, ihrem Frust durch das Anheizen solcher Gerüchte Luft gemacht haben. Ich hoffe einige davon lesen diese Zeilen und fühlen sich angesprochen. Die Bewertungen orientieren sich an Gebieten wie Céüse und der Deutschschweiz. Für die Westschweiz ist Charmey damit hart bewertet.

Wann dürfen wir mit der schwersten Route der Schweiz in Charmey rechnen?
Ende des Jahres gibt es hoffentlich die erste 9a+… (lacht)

1
2
QuellePirmin Bertle, Fotos: Adrian Stämpfli