Smells like Teamspirit: Nachbericht zum Elbsandsteincup 2012

Aus den Lautsprechern dringt Musik, dann verkündet der sympathische Moderator, dass das Bouldern, also das Klettern in Absprunghöhe ohne Seil, in der Sächsischen Schweiz nicht so gern gesehen sei. Deshalb habe man kurzerhand ein paar Kunstwände nach draußen gestellt. Alle Welt könne so sehen, wie viel Gemeinschaft und Freude ihr Sport stifte.

Fotostrecke: Elbsandsteincup 2012

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Fotos: © Florian Manhardt (www.bayomi-foto.de)

Zunächst sehen die über hundert Teilnehmer jedoch mit sorgenvoller Miene zum Himmel. Wolken türmen sich auf, doch der fortwährende Wind bläst immer wieder Lücken hinein und lässt die Sonne durchblicken. Das Risikospiel mit dem Wetter gehört bei einem von langer Hand geplanten Outdoor-Event dazu; die Veranstalter des Elbsandsteincups 2012 werden am Ende Glück gehabt haben.

Das Büfettzelt ist prall gefüllt. Für 7 Euro Anmeldegebühr werden die Teilnehmer rundum versorgt. Gemüse, Obst, belegte Brote, Nudelsalat, Getränke aller Art, Kaffee und Kuchen, dazu freier Eintritt in die nahe gelegene Therme inklusive Sauna. Das kann sich sehen lassen, ist ungewöhnlich für einen Kletterwettkampf. Nähert man sich dem Veranstaltungsgelände kommt sofort Wohlfühlatmosphäre auf: Zwischen den auf der Elbwiese aufgebauten Zelten rennen lachend barfüßige Kinder umher, junge Männer und Frauen mit Sonnenbrillen spielen Volleyball.

Ein kleines Mädchen buddelt in der Nähe im Sand und versucht dann über eine der vielen am Rande des Spielplatzes gespannten Slacklines zu balancieren. Es heißt, man könne sogar schon wieder in der Elbe baden. Die fließt jedoch so stark und ist so kalt, dass es die Leute vorziehen, im warmen Außenbecken der Therme ein paar Runden zu drehen. Und wo geht es zur Anmeldung? Ah, am Büffetzelt hängt ein Schild. Wunderbar, hier scheint für alles gesorgt zu sein.

Mit einem Mal wird es laut im Bad Schandauer Talkessel. Vom anderen Ufer her schwillt ein wuchtiges, metallisches Rattern an, schallt zwischen den steilen Waldhängen hin und her, klingt dann wieder ab. Kurz vor der Kurve Richtung Königstein verschwinden die Güterwaggons im Gegenlicht. Der Wind treibt die Wolken noch immer in rasanter Geschwindigkeit zusammen, um sie wenige Augenblicke später mit Gewalt auseinander zu reißen und den Wettkämpfern, die nie wissen, ob sie sich an oder ausziehen sollen, einen Sonnenbrand zu bescheren. Das wird nix mehr mit dem Sommer, sagt ein Freund kopfschüttelnd. Die Fotografen freuen sich über surreal anmutendes Licht.

Während die beiden Hallenser Gregor und Steffi ihre Kräfte für den morgigen Teamwettkampf aufsparen und ein paar Stunden Wandern gehen, beginnen die Einzelwettbewerbe. Boah, sind die Sachsen (wie immer) stark! Und cool sind sie mit ihren von zahlreichen Kletterreisen braungebrannten, muskulösen Körpern, den Rastas und ihrer szenemäßigen Vertrautheit. Ein paar ähnlich geartete Tschechen sind auch dabei. Und schöne Frauen, wohin man schaut.

Dialekt und Stil der Schrauber sind gewöhnungsbedürftig, wenn man aus Mitteldeutschland kommt und nur relativ frontales Draußenklettern gewöhnt ist. Das moderne Bouldern an Plastik sieht in etwa so aus: Kaum ein Griff kann einfach durchblockiert werden, alles funktioniert nur im Zusammenspiel sämtlicher Gliedmaßen, dreidimensional über das Verspannen zwischen mehrkantigen Volumen. Es sind optisch ansprechende Bewegungsrätsel, die ein ganzheitliches Kletterrepertoire abfragen. Einfach mal durchziehen is nich. Dafür tun hinterher Rücken und Wade weh. Der Gedanke, das da bei entsprechender Übung auch mal so ein dicker Muskel draus wird, tröstet.

Die Jugend bouldert mit und überwindet Hindernisse in der Regel springend, das Ganze mit einer Leichtigkeit, der die sächsischen Altmeister trotz allgemein guter Laune nur verbissene Anstrengung entgegen setzen können. Am Ende gewinnen zwei Mitteljunge: Eine tschechische Weltcup-Teilnehmerin und ein technisch brillanter Elb-Italiener, zumindest dem Namen nach. Die ganz Kleinen schert der Leistungsvergleich wenig, ihre Konkurrenzgedanken beschränken sich darauf, einen Platz auf dem Trampolin zu ergattern. Als jüngste Teilnehmerin soll aber auch eine Sechsjährige beim sonntäglichen Kids-Cup gesichtet worden sein.

Das Tolle an dieser Veranstaltung ist: Man hat immer etwas zu tun. Nach dem wirklich sehenswerten Deep Water Boulder – Finale über dem Außenbecken der Toscana Therme stehen "Bergsichten" auf dem Programm. Gezeigt werden zunächst zwei Archiv-Filme über Meilensteine des sächsischen Sandsteinkletterns. Diese sind besonders interessant, wenn man die Protagonisten auch heute noch, mehr als 15 Jahre später, kennt. Eine Expedition von Extremkletterer Stefan Glowac schlägt die Brücke zum bis dato unbekannten, prächtig bebilderten Hauptfilm, der am Everest und irgendwo zwischen Dokumentation, Spielfilm und Persiflage angesiedelt ist. Im Übrigen sorgt ein 30.000 Euro teurer Beamer dafür, dass es auch schon im Hellen losgehen kann.

Am Ende stiehlt ihm aber ein gigantisches Feuerwerk die Show: Niemand muss sich auch nur einen Zentimeter von seinem Platz weg bewegen, um zu sehen, was schräg hinter der Leinwand vom anderen Elbufer aus in den Nachthimmel geschossen wird. Ein fünfminütiger farbenreicher Funkenreigen, der – ohne zu übertreiben – wohl den derzeitigen State of the art repräsentiert. Die Kritik an solchen Geldverbrennungsaktionen mag berechtigt sein, ebenso ist ein solches nächtliches Lärmen im sonst so sensibel behandelten Nationalpark fragwürdig, aber: Scheen war's trotzdem! Wer auch immer dafür verantwortlich zeichnet, vielen vielen Dank.

Der nächste Morgen beginnt mit einem "Grauen", besser gesagt, dem "Magdeburger Morgengrauen". Angela, Jens, Alexander und Torsten haben den weiten Weg aus der sachsen-anhaltinischen Landeshauptstadt auf sich genommen, um den "Grünen Erbeerpropellern", den Spätzündern", "Schleuderleisten" und "Bergbananen" dieser Welt zu zeigen, wer im Bouldern, Beachvolleyball und Slacklinen die Nase vorn hat. Dieses tagesfüllende Aktivprogramm gepaart mit Strandfeeling und Teamspirit, der mit der Namensgebung am Stammtisch beginnt, ist das eigentliche Highlight des Elbsandsteincups. 22 Mannschaften kämpfen um Ruhm und Sachpreise, wobei eben nicht zwingend die Hardcore-Boulderer gewinnen. Am Ende landen auch die vier Magdeburger weit vor so manchem Leistungsportler und heimsen die Blechmedaille ein. Auch Gregor und Steffi aus Halle erreichen mit ihrem "Halle Rocks"-Team einen guten siebenten Platz, wobei ihnen ihr abschließendes Volleyballmatch mit einem schier endlosen Tiebreak wohl noch lange in Erinnerung bleiben wird.

So plätschert der Sonntag dahin. Der Kaffee fließt nach wie vor in Strömen, und wer nicht mit dem Laufzettel in der Hand seine Punkte zu optimieren versucht, landet, wie soll es anders sein, am Büfett. Ungezählte Ernährungspläne werden hier durch die zentrale, unumgehbare Reichhaltigkeit mit Freude über den Haufen geworfen. An dieser Einstellung ändern auch die sich anschließenden "Fettstühle" durch Mayonnaise-Abusus nichts.

Die Boulder sind dankbarerweise nicht so hart wie am Vortag, und die Sonne wärmt trotz gelegentlich vorbei huschender Schauer Körper und Geist. So wundert es nicht, dass ein Großteil der Meute gegen Ende am erwähnten Außenbecken der Toscana Therme hängen bleibt. Einer der Teamboulder führt durch die über dem Wasser hängende Kletterwand, und wer nicht selbst einen Versuch wagt, erfreut sich an den kunstvollen Abgängen der anderen, spritzt Mädchen nass oder amüsiert sich darüber, wie die betagteren Dauergäste der Therme zwischen interessiertem Staunen über dieses nicht alltägliche Geschehen und bewusster Ignoranz zu schwanken scheinen.

In den Gesichtern der Teilnehmer findet man hingegen fast durchweg fröhliche Dankbarkeit, Resultat einer liebevollen Veranstaltung, bei der man sich einfach gut aufgehoben fühlt. Sie lachen, sie schwimmen, sie versprechen sich, nächstes Jahr mit den Kindern wieder zu kommen, und sie klettern noch immer an den mittlerweile nassen Griffen empor, als Steffen vom Orga-Team im Hintergrund schon die ersten Streben der Wand zu lösen beginnt.

Ergebnisse: http://www.elbsandsteincup.eu/ergebnisse-boulder-cup.html

überwww.bayomi-foto.de
QuelleBenjamin Gerono, Fotos: Florian Manhardt