Andy Holzer ist Teil der Inklusionskampagne der “Aktion Mensch”

Inklusion bedeutet, dass von Anfang an alle Menschen an der Gesellschaft teilhaben können - und zwar unabhängig von individuellen Fähigkeiten, ethnischer wie sozialer Herkunft, Geschlecht oder Alter. Der Begriff steht also für eine Gesellschaft, die niemanden ausgrenzt.

Andy Holzer und die Aktion Mensch Herr Holzer, wie sind Sie als blinder Mensch zum Bergsteigen gekommen? Ich bin in Osttirol aufgewachsen und dort haben mich von Anfang an die steilen Böschungen am Wegesrand fasziniert. Wenn ich durch flaches Gelände laufe, sind meine Finger in der Luft und geben mir keine Orientierung. Bei einer Felswand oder einer steilen Wiese habe ich dagegen zehn Augen – weil ich mit zehn Fingern Informationen erhalte. Natürlich lauern hier auch Gefahren wie Spalten oder Abhänge. Aber meine Eltern haben mich zum Glück laufen lassen und schnell bemerkt, dass sie sich keine Sorgen machen müssen, weil mein Balancegefühl sehr gut ist. Was gibt Ihnen in den Bergen Orientierung?

Jeder Mensch hat fünf Sinne. Mir fehlen also lediglich 20 Prozent der Sinneseindrücke, 80 Prozent stehen mir zur Verfügung und die nutze ich alle gleichermaßen. Wenn ich etwa an einer steilen Felswand stehe, kann ich nach feinen Sandkörnern tasten und diese ausstreuen. Ich höre dann, wie sie an manchen Stellen abprallen. Das sind für mich akustische Pixel. Und an der nächsten Stelle spüre ich vielleicht, wie die Berge den Wind in eine andere Richtung lenken – auch das gibt mir Orientierung. Sehende Menschen nehmen die Welt dagegen eher einseitig wahr?

Die optische Wahrnehmung ist heute entscheidend, davon lebt beispielsweise die Werbung. Aber das ist nur die Oberfläche. Ich will den Sehenden die Augen öffnen, die Welt neu wahrzunehmen. Das Gehirn ist bei jedem Menschen blind. Es bekommt nur über die Sinne Informationen. Letztlich können also alle die Welt so wahrnehmen wie ich, aber sehende Menschen haben das nicht nötig. In gewisser Weise hat mir die Notwendigkeit, auf alle meine Sinne zu hören, die Möglichkeit gegeben, mich zu entwickeln. Welche Rolle spielt für Sie das Team, mit dem Sie unterwegs sind?

Bei unseren Expeditionen kümmere ich mich um die Logistik und die Finanzierung. Ich klettere auch problemlos Steilwände hoch. Aber wenn es um ganz alltägliche Dinge geht, wie Butter auf mein Brot zu schmieren, müssen mir meine Freunde helfen, damit ich nicht verhungere. Zuhause ist es genauso, da unterstützt mich meine Frau. Ich bin also sehr abhängig von anderen Menschen, das ist eine große Schwäche. Andererseits muss so eine Abhängigkeit nicht schlecht sein. Wichtig ist nur, dass man sich aussuchen kann, von wem man abhängig ist. Sie halten viele Vorträge in großen Unternehmen. Schildern Sie dort auch solche alltägliche Schwierigkeiten?

Nach meinen Erfahrungen spricht es meine Zuhörer gerade an, dass ich nicht nur meine starken Seiten zeige. Schließlich weiß jeder dieser Manager ganz genau, wie schwach er selbst ist. Und wer in den Bergen unterwegs ist, dem hilft weder ein Rucksack voll Geld noch ein Saal von Menschen, die einen beklatschen.

Ich finde es wichtig, Ziele zu definieren. Aber genauso wichtig ist es, seine Pläne ändern zu können. Unter Bergsteigern gilt es als große Herausforderung, die Seven Summits zu besteigen. Das sind die höchsten Gipfel auf sieben Kontinenten, Antarktis und Nord- und Südamerika mitgezählt. Sechs dieser Berge habe ich bestiegen, auf den Mount Everest arbeite ich noch hin. Aber wenn es etwas Spannenderes am Wegesrand gibt, kann ich das Ziel jederzeit ändern. Viele Menschen versteifen sich so sehr auf einen Plan, dass sie gar nicht merken, dass sie an etwas sehr Schönem einfach vorbeigehen. Warum engagieren Sie sich für die Kampagne der Aktion Mensch?

Die Kampagne ist mir sehr sympathisch, weil es mir sozusagen ständig um eine Aktion Mensch geht. Mir ist bewusst, dass es nicht alle blinden Menschen so gut haben wie ich. Deshalb versuche ich immer wieder Brücken zu schlagen – zwischen einzelnen Menschen, aber auch über die Kontinente hinweg. Bei einer Tour auf den Kilimanjaro habe ich beispielsweise eine Gruppe Manager mitgenommen. Sie haben dafür etwas mehr bezahlt als üblich, und wir haben mit dem Geld blinden Kindern in Afrika eine Operation ermöglicht, die ihnen das Augenlicht wiedergibt. Zur Person

Andy Holzer wurde am 3. September 1966 im österreichischen Lienz geboren. Aufgrund einer Netzhauterkrankung ist er von Geburt an blind. Als Heilmasseur hat er 26 Jahre in einem Krankenhaus gearbeitet. Nebenher war er schon immer begeisterter Bergsteiger. Seit 2010 ist er selbstständig. Er führt Expeditionen, hält Vorträge und hat unter dem Titel “Balanceakt. Blind auf die Gipfel der Welt” ein Buch über seine Erfahrungen veröffentlicht. Mehr Informationen gibt es auf seiner Website unter www.andyholzer.com.

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QuelleAktion Mensch