Anekdote: Freinacht

SchlafsackDas Dunkel der Nacht hat den Bergwald umhüllt und deckt lückenlos Wege und Stege. Kein Vogelruf klingt von den Felsen herab, kein Schritt stört die nächtliche Stille. Das Glitzern der Sterne vermittelt Erhabenheit und Ruhe, … zu der das Schnarchen Benitas nun wirklich nicht passt. Ungeduldig stoße ich sie an, um mich weiter der andächtigen Stille hinzugeben.

Auf einer Isomatte liegend, die Daunenmumie zugezogen, lausche ich dem Atmen der Frau. Längst vergessene Bilder werden wach, an erste Nächte im Freien.

Gerade 16 Jahre war ich alt, als ich im Rahmen einer naturkundlichen Wanderung zur Hirschbrunft am Großen Winterberg war, im Leinenrucksack nur eine Decke. Irgendwann nach Mitternacht, die Brunftschreie waren lange verklungen, brachten die Wanderfreunde ihre Schlafsäcke heraus und rüsteten sich für ein paar Stunden zum Schlafen, bis die Hirsche wieder röhrend den neuen Tag begrüßten. Schon vor Aufregung bekam ich in jener Oktobernacht kein Auge zu, von der Kälte ganz zu schweigen.

Oder später, … die erste Nacht neben einem Mädchen liegend, jede Berührung wie einen Stromstoß empfindend. Da war der Schlafsack nicht zugezogen, zu unruhig waren die Hände. Es war heiß, gleich welcher Jahreszeit und steife Glieder bekam man nicht nur durch Kälte. Da fällt mir eine Episode aus der Idagrotte ein. Wir hatten in einer größeren Gruppe am Feuer gesessen und lagen dann dicht an dicht neben der verglimmenden Glut. Es war Ruhe eingetreten und alle schienen zu schlafen.

Nur Karin hatte wohl noch nicht die richtige Schlafposition. Irgendwie war ihr mein Ellbogen im Wege, da ich die Arme nicht in der Mumie hatte. Verschlafen wollte sie mir sagen, dass sie mein harter Ellbogen stört. Da sie schon mehr als müde war, sprach sie die Worte langsam und gedehnt. „Peter“ sagte sie seufzend, „du hast … aber… einen … harten“ – Ellbogen wollte sie sagen, aber dazu kam sie nicht mehr. Zehn oder zwölf Bergfreunde saßen mit einem Schlag aufrecht und grölten. Auch das sind Erinnerungen an eine schöne Zeit.

Oder die erste Freinacht mit meiner Frau, als ich ihr (ganz Gentleman) meinen Schlafsack gab und mich wieder einmal mit einer Decke begnügte. Es war eine Nacht wie heute, aber Andacht und Stille wurden hin und wieder durch den Ruf eines Waldkauzes gestört, von dem ich meinte, er rufe: „Komm mit!“, „Komm mit!“ Rief er nun nach Benita … oder nach mir? Auch der Mond konnte es mir nicht sagen. Obwohl er in jener Aprilnacht einen Hof hatte, überzog er den Himmel mit gleißendem Licht. Kein Wunder, dass ich entsetzlich fror. Auch da waren wir am Feuer eingeschlafen, konnten es aber morgens gefahrlos wieder entfachen. Zeiten an die wir heute mit Wehmut denken.

Aber damals sollten noch viele Biwaknächte folgen. Wir genossen es draußen zu bleiben, wenn die anderen dem heimischen Bett zustrebten, um am nächsten Morgen wieder frisch erholt bei uns zu sein. Für uns bot der Wald das richtige Bett. Allerdings schlief Benita oft schon tagsüber, wenn sie auf ihren „Kletteraffen“ wartete. Ich dagegen powerte mich aus und lies meine Potenz sozusagen am Felsen. Fazit war, dass es kaum zu einer romantischen Nacht kommen konnte, denn ich legte mich nieder … und schlief. Meine Frau hingegen war nun schon ausgeruht und lauschte ängstlich den Stimmen der Nacht. Als in den späten Abendstunden unter der Wildensteinwand, etwa 20m neben uns, ein Rehbock schreckte, saß auch sie einmal aufrecht im „Bett“.

Ein anderes Mal begann mitten in der Nacht unser noch nicht aufgewaschener Suppentopf, den wir verkehrt herum hingestellt hatten, zu tanzen. Als wir ihn vorsichtig anhoben, huschte ein Bilch aus dem nun blitzblanken Topf und rannte im Schein unserer Lampe am überhängenden Felsen empor. „So müsste man klettern können“, dachte ich damals.

Trotz aller Stille ist auch die Nacht voller Leben, denke ich jetzt. Es ist Zeit geworden, dass wir wieder mal draußen sind, auch wenn meine Frau nun eine Luftmatratze fordert – vielleicht weil sie mit mir nicht mehr zufrieden ist. Die Hitze der Nacht hat halt nachgelassen und steife Glieder deuten eher auf Arthrose. Es hat eben alles seine Zeit.

Peter Hähnel (67 Jahre)
Klettert als Dresdner hauptsächlich in Sachsen.
Am 17. März wird er in der Felsenwelt des Elbsandsteingebirges sein 50-jähriges Kletterjubiläum feiern.

Siehe auch:
Anekdote: Im Kletterergarten
Climbing.de Anekdoten

QuelleText: Peter Hähnel