Du bist 2008 sowohl im Weltcup gestartet als auch auf “happening”-mäßigen Wettkämpfen wie dem BAZ! oder der Retailer Show in Salt Lake City. Was macht den Reiz solcher Veranstaltungen aus?

Solche Events sind reizvoll, weil sie sich von den klassischen und offiziellen Wettkämpfen in vielen Punkten unterscheiden: Die Ausrichter sind zum Beispiel in Bezug auf Wettkampf-Regeln und – Modi deutlich experimentierfreudiger als die IFSC, was nicht zuletzt Grund dafür ist, dass entsprechende Events mehr als nur ein Leistungsvergleich sind. Der Eventcharakter lockt auch immer mehr Kletterer an, die den klassischen Wettkampfmodus scheuen. Beim BAZ (Anm.de.Red: “Boulderen aan Zee” am Strand von Scheveningen; Holland) boulderten über 500 Teilnehmer am Strand und der besagte von Mammut in Salt Lake City ausgerichtete Wettkampf, zu dem ich eingeladen wurde, hat Topkletterer wie Paul Robinson, Ethan Pringle, Daniel Woods und nicht zuletzt Chris Sharma angelockt. Diese Jungs verirren sich in der Regel ja nur sehr selten auf die offiziellen internationalen Wettkämpfe.  

Und warum glaubst du, scheuen diese Stars die “normalen” Wettkämpfe? Haben sie Angst, ihren Ruf zu verlieren? Sie sind ja vor allem für härteste Felsbegehungen bekannt.

Keine Ahnung… Ich denke pauschal kann man das nicht sagen. Einige werden auf die “normalen” Wettkämpfe nicht kommen, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass sie mit dem hohen Druck auf den offiziellen internationalen Wettkämpfen nicht zurechtzukommen. Andere haben Probleme sich mit dem Klettern als seriösen Wettkampfsport zu identifizieren. Manchen wird es auch einfach nicht liegen, Boulder schnell und in wenigen Versuchen klettern zu müssen. Diese Jungs können, wenn sie viel Zeit haben einen Boulder zu projektieren, unglaublich schwere Boulder klettern, haben aber Probleme, sich Boulder in wenig Zeit und Versuchen zu erarbeiten oder sogar zu flashen.

Wie würde denn deine Idealvorstellung eines Boulderwettkampfes aussehen?

Es müsste zuerst einmal ein Wettkampfmodus sein, der natürlich fair ist und sowohl den Boulderern selbst als auch den Zuschauern Spaß bringt. Dazu müssten interessante, außergewöhnliche und spektakuläre Boulder geschraubt sein und ein möglichst großes Publikum nah am Geschehen dabei sein. Außerdem müsste der Wettkampf an einer in irgendeiner Art und Weise besonderen Location  stattfinden und es müssten die weltbesten Athleten teilnehmen.

Wo siehst du derzeit noch die Defizite bei den “offiziellen” Wettkämpfen? Oder siehst du da überhaupt welche?

Der Klettersport entwickelt sich zurzeit sehr stark. Es werden immer wieder neue Modi und Wettkampfbedingungen ausprobiert, um die Wünsche aller an einem Wettkampf beteiligten Personengruppen weitestgehend gerecht zu werden. Zurzeit merkt man als Sportler sehr stark, dass die Ausrichter versuchen, einiges zu verändern um professioneller zu werden. Von dieser Professionalisierung sind aber nicht alle Wettkämpfe oder Teilbereiche der Wettkämpfe gleichermaßen betroffen. Dieses Ungleichgewicht lässt das Wirken der Offiziellen oft als entweder überzogen oder amateurhaft erscheinen. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass ein offizieller Boulderweltcup in Serbien am Tag vor dem Wettkampf abgesagt werden muss, weil die Wand noch nicht steht!  Manchmal führt auch das sicherlich lobenswerte Bestreben der Ausrichter, die Wettkämpfe vor allem für Zuschauer und Medien interessanter zu gestalten dazu, dass sich die Athleten vernachlässigt bzw. ihre Leistungen nicht ausreichend honoriert sehen.

Was macht für dich den Reiz von Boulderwettkämpfen aus?

Wie bei allen Wettkämpfen bietet auch ein Boulderwettkampf zunächst einmal die Möglichkeit, sich mit anderen Sportlern zu vergleichen. Was das Bouldern aber sicherlich von vielen Sportarten unterscheidet, ist, dass selbst auf den internationalen Wettkämpfen ein fast immer freundschaftliches Verhältnis zwischen den Sportlern der unterschiedlichsten Nationen herrscht. Man hat einfach immer Spaß – auch wenn man stundenlang in der Isolation sitzen und darauf warten muss, endlich starten zu dürfen. Außerdem lernt man mit den anderen Sportlern die verschiedensten Länder von den USA über Russland bis  China kennen – wenn auch nur für wenige Tage, weil meist die Woche drauf ein weiterer Wettkamp stattfindet. Wie die Menschen, Kultur und Landschaft sind auch die Boulder von Land zu Land unterschiedlich, man sieht sich also fast jeden Wettkampf mit einem ganz neuen Style an Bouldern konfrontiert, wodurch man auf solchen Wettkämpfen auch unwahrscheinlich viel lernen kann.

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QuelleMatthias Keller