Stefan Glowacz im Gespräch mit dem ALPIN Magazin: Quo vadis Alpinismus?

Ein Kongress in Brixen, eine K2-Lüge, touristische Erschließung der Berge. Das ALPIN Magazin wollte von Stefan Glowacz wissen: Wie macht sich der Alpinismus in der Spaßgesellschaft?

Stefan Glowacz 1991 in BirminghamALPIN: Woran liegts?

G. Die Visionäre fehlen, oder Visionen werden nicht mehr ausgedrückt. Im Klettersport entwickelt sich jede einzelne Disziplin von der Leistungsfähigkeit her weiter. Beim Sportklettern ist man jetzt bei 9 b angelangt, das kannst du keinem Laien im Ansatz mehr erklären, was das bedeutet. Klar, es kommen junge Leute nach die schwerer klettern können, aber neue Ansätze gibt es keine.Vielleicht ist der Prozess, daß Abtriften in mediengerecht darstellbare Leistungen das Resultat der Perspektivlosigkeit. Der eine rennt halt auf den 8000er schneller als alle anderen, andere klettern auf  Speed durch die Nose oder den Eiger.Ich provoziere jetzt einfach mal mit der Frage, ob solche Begehung wirklich aus eigener Überzeugung heraus entstehen, oder eher um in den Medien eine Leistung darstellen zu können die wenig Erklärung erfordert. Schneller, höher, weiter hat  im Bergsport wieder Einzug gehalten, weil es jeder Depp versteht. Dadurch erhält das Spitzenbergsteigen eine gewisse Oberflächlichkeit.

ALPIN: Eine Parallele zur übrigen Gesellschaft? Aber wenn heute ein Junger vom  Bergsteigen leben will,  was bleibt dem übrig?

G. Vielleicht ist das genau der falsche Ansatz. Es geht doch darum, Spaß beim Bergsteigen und Klettern zu haben, ohne von vornherein kommerzielle Absichten damit zu verbinden.. Viele haben vom Profiklettern auch eine ganz falsche Vorstellung. Die eigentliche sportliche Leistung ist ja nur ein  Bestandteil davon, was du leisten musst, um davon leben zu können. Ich betrachte jetzt mal die Situation aus der Sicht eines Unternehmers (Red Chili, d. Red.).Wir bekommen jeden Tag  Anfragen von jungen Kletterern, ob wir sie nicht ausrüsten können. Wir haben in der Vergangenheit viele Kletterer mit Kletterschuhen unterstützt,  aber als wir ein paar Bilder oder einen Text  von ihren Begehungen für unsere Website haben wollten, gab es  in den meisten Fällen keine, oder  wir haben erst wieder von ihnen gehört, als sie neue Schuhe brauchten. Es war eine große Enttäuschung.Als Profi muss man auch die Regeln befolgen. Da reicht es nicht aus, sich besonders gut an kleinen Griffen festhalten zu können, man muss auch über diese Fähigkeit berichten und sie dokumentieren.  

ALPIN: Klingt hart.

G. Aber so ist es. Im Grunde sind wir Geschichtenerzähler, die modernen Trenkers, Messners, Humbolts, die in die Welt ausgezogen um Abenteuer zu erlebt und als sie wieder nach Hause kamen, berichteten sie über ihre Erlebnisse. Sie hielten Vorträge, publizierten ihre Stories in Magazinen und schrieben Bücher. Auch wir erzählen Geschichten von dem, was wir erlebt haben. Davon leben wir und nicht nur, weil wir uns so toll an kleinen Griffen festhalten können.

ALPIN: Der Unterschied zu den Gebrüdern Grimm ist, ihr habt die Geschichten auch erlebt.

G. Richtig. Wenn dir eine gute Unternehmung geglückt ist und du sie mit entsprechenden Bild- und Filmsequenzen dokumentieren konntest, hast Du auch eine tolle Geschichte zu erzählen und kannst ein breites Publikum damit inspirieren und zum Träumen animieren. Ein gutes Beispiel dafür ist der Vortragsreisende und Abenteurer Michael Martin.

ALPIN: Michael Martin kalkuliert sein Risiko, er sagt, wenn ich jetzt in den Tschad fahre, werde ich entführt. Aber er ist authentisch, das zählt in den Medien nach wie vor.

G. Stichwort Authentizität: Für mich war Kurt Albert  die wichtigste Figur im modernen Sportklettern. Er hat Anfang der siebziger Jahre dieser unkoordinierten Freikletterbewegung einen Rahmen gegeben, eine Lebensphilosophie damit verbunden und hat sie uns vorgelebt. Kurt hat für mich, was den Klettersport betrifft, eine größere Bedeutung wie Reinhold Messner. Reinhold  war auch ein Visionär, aber Kurt und Wolfgang (Güllich, d. Red.) haben das Klettern – vielleicht unbewusst – durch die Rotpunktidee in eine neue Dimension gehoben.Um hier auf die Jungen zurückzukommen: Muss man denn immer gleich das Ziel haben, Profikletterer- oder Profibergsteiger zu werden? Ich wollte das nie werden. Ich wollte nur so werden wie Kurt und Wolfgang. Ich bin mit Leidenschaft in die Berge gegangen, war begeisterter Kletterer und hatte Glück, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein.Heutzutage hört man auch immer wieder aus dem Exped-Kader: Das logische Ziel für mich ist Profiexpeditionsbergsteiger zu werden. So funktioniert das aber nicht!

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G. Ich denke, man sieht ein paar Profikletterer wie Ines Papert, die Hubers und auch mich, wie wir vom Klettern leben können. Das sieht nach außen hin vielleicht auch alles großartig aus: Die fahren in die Antarktis, nach Venezuela, machen geile Reisen … Was dahinter steckt sieht kein Mensch.Du brauchst einen Fotografen, einen Kameramann, hast  ein hohes finanzielles Risiko bei jeder Expeditionen und wenn du nach Hause kommst, beginnt die Arbeit erst. Das ist bei weitem nicht mehr dieses unbeschwerte Bergsteigen der Zeit, als du noch keinem verpflichtet warst. Trotzdem finde ich dieses Leben großartig und bin für diese Möglichkeiten sehr dankbar.

ALPIN: Die Welt hat sich auch geändert, früher gab es weder Mainstream und Mediengesellschaft.

G. Ja, wir schwimmen da alle mehr oder weniger in einem Strom  mit, der immer schneller fließt. Es erfordert von jedem von uns mehr Eigenverantwortung um uns ständig zu hinterfragen: Was brauch ich von diesem Angebot wirklich, was hilft meinem Leben, und was belastet mich eigentlich nur. Bergsteigen ist eine Möglichkeit auch immer wieder einmal innezuhalten, Geschwindigkeit herauszunehmen und die Welt aus einer anderen Perspektive zu betrachten.In unserem beschleunigten Alltag bekommt Bergsteigen eine immer größere Bedeutung in Bezug auf  die Nachhaltigkeit. Ein mittlerweile sehr strapazierter Begriff, aber nach dieser Nachhaltigkeit sehnen wir uns ja, weil sich alles um uns herum so schnell bewegt. Weil sich immer mehr nur noch in Superlativen misst und dem Kommerz untergeordnet wird.

ALPIN: In der Gesellschaft wie im Alpinismus?

G. Nehmen wir doch mal das Beispiel AlpspiX, der Inbegriff (umstrittene Aussichtsplattform an der Alpspitze, d. Red.), des Konsumwahns. Muss man denn sogar die Bergwelt dem Kommerz unterordnen?

ALPIN: Man hat Deine Haltung zum AlpspiX auch kritisiert.

G. Es war mir eine wirkliche Herzensangelegenheit. Ich wusste im Vorfeld, wenn ich mich da hinhänge, dann häng ich mich auch ganz weit aus dem Fenster. Weil viele gesagt haben: “Hast jetzt wieder eine tolle Medienaktion gemacht.” Die konnten es gar nicht verstehen, dass jemand aus tiefster Überzeugung heraus so etwas durchzieht.So weit sind wir schon, daß wir hinter jeder Maßnahme immer gleich eine kommerzielle Absicht vermuten. Wäre die große Medienaktion meine Ambition gewesen, dann könnte ich jedes Wochenende an einem anderen Ort in den Alpen gegen solche Einrichtungen protestieren.

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überALPIN Magazin Einzelheftbestellung
QuelleClemens Kratzer, Olaf Perwitzschky (ALPIN Magazin), Fotos: M.Joisten, RedChili