IMS 2010: Diskussion “Frauen und Berge” mit Oh Eun Sun

Am Samstag, den 6. November kam es bei der Bergplattform IMS zum mit Spannung erwarteten Gipfeltreffen der Frauen im Bergsport.

Oh Eun Sun, Billi Bierling, Eva Bachinger, Ingrid Runggaldier, Kay Rush In der von Kay Rush moderierten Runde diskutierte die südkoreanische Top-Bergsteigerin Oh Eun Sun mit Journalistinnen und Bergsteigerinnen. Kay Rush stellte mit ihren Fragen nicht nur den Wettkampf der Frauen um die Besteigung aller 14 Achttausender in den Mittelpunkt. Mit Unterstützung der italienischen Publizistin Ingrid Runggaldier warf sie zunächst einen Blick in die Vergangenheit des Frauenalpinismus und erinnerte an erste Vertreterinnen wie Marie Paradis oder Fanny Bullock.Letzterer wurde trotz der Besteigung einiger Alpengipfel die Aufnahme in den englischen Alpenverein verweigert. “Klettern war damals für Frauen oft auch eine politische Angelegenheit. Sie kämpften als Feministinnen um ihr Stimmrecht in der Gesellschaft”, führte Runggaldier aus.

Auch heutzutage sehen sich Alpinistinnen noch mit Vorurteilen konfrontiert. Die deutsche Journalistin und Bergsteigerin Billi Bierling präzisierte: “Wenn eine Frau heutzutage eine Expedition anführt, dann muss sie sich gegenüber den Männern beweisen.”Und auch Oh Eun Sun hat das erlebt: “Manchmal ist es schwierig, mit Männern in eine Gruppe zu gehen, weil sie denken, dass ich schwächer bin. Mit Frauen ist es etwas leichter.” Noch heute haben Frauen als Alpinistinnen Nachteile gegenüber männlichen Kollegen.Die österreichische Journalistin Eva Maria Bachinger stellte fest: “Bergsteigerinnen haben fast nie Kinder. Männer haben ihre Kinder und Familien zu Hause. Frauen wie Ines Papert werden hingegen immer gefragt: “Wie kannst du das verantworten? Hier herrscht noch keine Gleichberechtigung.”

Spannend wurde es auch, als Kay Rush gleiche Fragen an zwei sehr unterschiedliche Bergsteigerinnen stellte. Gerlinde Kaltenbrunners Antworten waren zuvor per Video aufgezeichnet worden. Während Kaltenbrunner gerade den Wettkampfgedanken bei der Besteigung der 14 Achttausender von sich wies, war die Konkurrenzsituation für Oh Eun Sun beflügelnd: “Hätte die Konkurrenz nicht existiert, hätte ich keine Motivation gehabt und mein Ziel vielleicht nicht geschafft. Ich hätte vielleicht jährlich ein bis zwei Gipfel versucht.”In anderen Fragen vertraten beide ähnliche Standpunkte. So haben beide einen kleinen Glücksbringer auf ihren Expeditionen dabei und beide haben sich bewusst gegen Kinder entschieden, um Bergsteigen zu können, wobei die Koreanerin Kinder für ihre Zukunft nicht ausschließt.

In der Frage der Kletterethik ergriff dann, ebenfalls per Videobotschaft, Reinhold Messner das Wort und verteidigte Oh Eun Suns Leistung. “Der Berg hat mit Moral nichts zu tun, es gibt keine Regeln,” proklamierte er und stellte fest: “Miss Oh wird viel vorgeworfen, das meiste davon ist erstunken und erlogen. Ich möchte mich nicht zum Richter aufschwingen, aber aus Gründen der Fairness muss man sie verteidigen.”

In die Zukunft des weiblichen Kletterns blicken die Fachfrauen mit viel Optimismus: “Frauen haben heute mehr Möglichkeiten und sie können früher anfangen,” bilanzierte Billy Bierling. “Ich habe beim Bouldercup viele junge Mädchen sehr elegant klettern sehen – das ist sicher die Zukunft,” ergänzte Eva Maria Bachinger.

Fazit: Der Frauenalpinismus hat sich in den letzten Jahren enorm entwickelt. Sowohl bei Sponsoren wie auch bei der persönlichen Ausgestaltung ihres Lebens stehen Frauen den Männern kaum in etwas nach.Ein Beleg dafür sind die Erfolge der großen Alpinistinnen, wie Oh Eun Sun, Kaltenbrunner, aber auch Nives Meroi oder Edurne Pasaban. Die Stilfrage, also die Nutzung von Sauerstoff, Hubschraubern oder vielen Sherpas, bleibt eine Geschmacksfrage, die das Erreichen der Gipfel selbst nicht in Frage stellt.

Zitate: Frauen und Berge Kay Rush

  • Ganz unglaublich war es, was diese Frauen geleistet haben zu einer Zeit, in der die Frauen noch nicht einmal das Wahlrecht hatten

Oh Eun Sun:

  • Ob ich will oder nicht bin ich eine Volksheldin geworden, das muss ich akzeptieren, das ist nun meine Position
  • Ich glaube im 21. Jahrhundert müssen Männer und Frauen nicht unterschiedlich behandelt werden, es geht um den Menschen
  • Als ich auf den K2 gestiegen bin, hatte ich das Vertrauen in mich selbst, es zu schaffen (alle 14 Achttausender) Am K2 habe ich mich entschieden, alle zu machen. Damals hatte Gerlinde zehn, ich hatte fünf. Ich habe gedacht, vielleicht kann ich es schaffen -diesen Plan und diese Chance wollte ich verwirklichen
  • Diese Frauen waren für mich sehr motivierend, daher konnte ich den Rekord schaffen
  • Wenn ich mich entscheiden müsste zwischen Kindern und Bergsteigen, würde ich mich für den Berg entscheiden
  • Das wichtigste ist, was ich selber denke, tue und fühle
  • Meinen Traum habe ich erreicht

Gerlinde Kaltenbrunner:

  • Ich bin von klein auf vom Höhenbergsteigen begeistert, auf dem Gipfel, wenn man es geschafft hat, da kommt für mich geballte Energie zurück
  • Für mich hat nie ein wirklicher Wettkampf existiert
  • Ich kann ganz klar meine Grenzen erkennen, daher komme ich nicht in Situationen wie viele Männer, die nicht auf Warnsignale hören. Das ist ein Unterschied zu vielen Männern
  • Ich will keine Besteigung um jeden Preis
  • Kinder zu kriegen kam für mich nie in Frage, das hätte ich nie verantworten können

Eva Maria Bachinger (Journalistin):

  • Frauen müssen sich rechtfertigen, wenn sie Kinder und Bergsteigen verbinden.
  • Natürlich war es einen Wettkampf
  • Es geht auch darum, Sponsoren zu bekommen, unbekannte Berge bringen keinem etwas
  • Das Problem in der Berichterstattung über Oh Eun Sun war, dass die Vorwürfe nicht kritisch hinterfragt wurden. Frau Sun wurde nicht offen mit den Vorwürfen konfrontiert

Billi Bierling (Extrembergsteigerin und freie Journalistin):

  • Es gibt nicht viele Frauen, die neue Routen gehen, das ist vielleicht etwas für die Zukunft

Ingrid Runggaldier (Übersetzerin und Publizistin):

  • 1938 wird als Beginn des Bergsteigens der Frauen angesehen
  • Frauen wurde die Aufnahme in die Alpinclubs verweigert
  • Frauen werden anders beurteilt: Wenn Frauen ehrgeizig sind, ist es etwas Negatives, bei Männern ist es umgekehrt

Reinhold Messner:

  • Das meiste, was im Vorfeld über Miss Oh gesagt wurde, stimmt nicht.
  • Am Berg gibt es keine Moral
QuelleIMS, Foto: Antonia Zennaro (IMS)