Portrait Kurt Albert von 1999

Es war ein schöner Tag im Oktober 1987. Christoph Driever und ich – damals noch grün hinter den Ohren – ruhten uns gerade unterhalb der Route "N.E.D" im Eldorado Canyon nahe Boulder/Colorado von einer anstrengenden 5.10 aus, als sich Schritte näherten. Kurt Albert, einer der berühmtesten Kletterer der Welt, kam ums Eck und betrachtete den Fels. Demütig und vor Ehrfurcht fast erstarrt wagten wir kaum unsere Unterhaltung fortzusetzen. Als Kurt bemerkte, daß wir auch aus Deutschland kamen, gesellte er sich direkt zu uns und es begann eine sehr nette und interessante Unterhaltung. Nachdem wir uns verabschiedet hatten und noch einmal von der Straße aus zurückblickten, sahen wir Kurt "N.E.D" klettern -eine Route, die den Namen "Nothing Except Dynamics" zu recht trägt. Erst Jahre später fanden wir heraus, daß wir Zeuge seiner Solobegehung gewesen waren…

Fotostrecke: Kurt Albert 1999

Fotos: © Martin Joisten

Offenheit, Herzlichkeit und anscheinend nie versiegender Humor sind wohl die herausragendsten Eigenschaften von Kurt Albert. Nie würde man erwarten, daß er Trübsal blasend in einer Ecke sitzt und nichts mit sich anzufangen weiß. Kurt versteht es, jedem neuen Tag etwas schönes abzugewinnen. Wahrscheinlich ist sein Geheimrezept, eben keinen geregelten Tagesablauf zu haben. "Wenn ich auf einer Expedition bin, dann bestimmt das Ziel den Tagesablauf. Wieder daheim bin ich erst mal faul. Dann fängt der Tag immer etwas später an. So um Neun." meint Kurt und lächelt verschmitzt über den Rand seiner Kaffetasse. Das war überhaupt sein erster Gedanke, als wir zu dem Gespräch bei Kurt in Streitberg auftauchten: "Wollt ihr nen Kaffee?" Ich hatte ja schon viel über seinen ausgiebigenKaffeekonsum gehört, aber bislang noch nie so richtig wahrgenommen. Als ich dann aber etwas mehr Milch nahm, offenbarte sich der Kaffeegenießer Kurt: "Soviel Milch?" stellte er entsetzt fest und zündete sich erst mal – wie zur Beruhigung seiner Nerven – eine Zigarette an. "Nachher gehe ich übrigens noch Kajakfahren."

Aktiv ist Kurt wirklich immer. An diesem Tag eben Kajakfahren, am anderen Tag wollte er zum Klettern gehen, anschließend standen Diavorträge in Spanien an, während er davor noch auf einer Podiumsdiskussion in Leipzig mit anschließender Kletterwoche im Elbsandstein war – natürlich mit seinem Busenfreund Bernd Arnold. Irgendwie kommen wir auf Jerry Moffatt zu sprechen und was liegt für Kurt näher, als mal eben bei ihm anzurufen. Spontan verabreden sich die beiden zu einer Kletterwoche in England und schon wieder ist ein kleiner Teil des Jahres verplant. Kurts scheint nicht nur die Jahre, sondern auch noch jeden einzelnen Tag optimal ausnutzen zu wollen und das schon seit geraumer Zeit. Kein Wunder, daß er schon so viel erlebt und geleistet hat. Wie ist das eigentlich? Vermißt er "die guten alten Zeiten" mit Wolfgang Güllich, Norbert Bätz, Flipper Fietz, Norbert Sandner und wie sie alle heißen? War damals nicht alles besser?

"Nein. Es war sicherlich eine schöne Zeit, aber es bringt ja nichts Vergangenem hinterherzutrauern. Das Leben geht ja weiter und es gibt noch so viele Ziele, daß mir kaum Zeit zum sinnieren bleibt. Heute macht mir das Leben noch genau so viel Spaß, wie damals." Tatendrang hat Kurt wahrlich noch immer genug, obwohl er seit 1988 mindestens ein Viertel des Jahres auf Expeditionen unterwegs ist, um Neuland zu erschließen. "Es sind eigentlich gar keine Expeditionen. Da bekommt man immer den falschen Eindruck. Unter Expeditionen verstehe ich eher das Höhenbergsteigen – was ich mache, sind eher Reisen, aber Du kannst es ruhig so nennen." Wäre denn eine "richtige Expedition" für Kurt überhaupt vorstellbar? Mal auf einen 8000er hochzusteigen? Bei dieser Frage werde ich überrascht. Kurt lächelt nur und verneint. Bei seinen Unternehmungen sollten schon wenigstens 80 Prozent Fels dabei sein. Nur im Schnee rumzustapfen ist für ihn keine Herausforderung. "Vielleicht interessiert es mich ja irgendwann mal." fügt er noch hinzu und läßt sich dadurch wieder ein kleines Hintertürchen offen. Auch ein Beweis dafür, daß Kurt im "Hier" und "Jetzt" lebt.

Kurt ist ein Mensch, der sich sehr stark von seinen Gefühlen leiten läßt und gerade das tut, was seine schier unersättliche Neugier befriedigt. Wenn etwas Nervenkitzel dabei ist – umso besser, aber dennoch sollte es ein einigermaßen kalkulierbares Risiko sein. Wenn man allerdings an so manche Aktionen von Kurt denkt, dann treibt es einem schon die ein oder andere Schweißperle auf die Stirn. Ich erinnere mich z.B. an die mehrmalige Free-Solo Begehung von "Fight Gravity" (8+) am Richard Wagner Fels und an ein Bild, das Kurt einarmig an einer Schuppe zeigt, während er auf den nächsten Tritt springt. Oder wie steht es mit der Aktion am "Devils Crack"? Dabei hing er in bayerischer Tracht ohne Sicherung 25 Meter über dem Boden.

Mit der einen Hand hielt Kurt sich fest und mit der anderen stemmte er einen Maßkrug. "Das würde ich heute auch wieder machen. Allerdings müßte ich dafür ein wenig trainieren. 30 Sekunden muß man da schon hängen." Außerdem gibt es da noch die Geschichte von einem gewaltigen Sprung von einem Felsturm in die gegenüberliegende Wand irgendwo in der Tschechischen Republik. "Spontan" kam Kurt auf die Idee dieses berüchtigte Manöver zu probieren. Er ließ extra viel Schlappseil, um nach einem möglichen Sturz nicht zurück gegen den Fels geschmettert zu werden, von dem aus er abgesprungen war, sondern viel tiefer unter einem Überhang auszupendeln. Ein netter Plan, nur leider ging er nicht ganz auf. Kurt schaffte den Sprung nämlich nicht und stürzte in die Tiefe, doch statt sanft im Gurt zu landen, hatte sich das Seil um sein Bein gewickelt. Resultat: Sechs Wochen Gips und die Erkenntnis, daß doch stets ein Restrisiko verbleibt.

Früh schon fand Kurt Gefallen an der Kletterei – zunächst über die katholische Jugendgruppe und später über eine Sektion des Alpenvereins tastete er sich immer weiter vor. Seine Ziele waren klar definiert: Die klassischen Wände der Alpen. So gelang ihm bereits im Alter von 17 Jahren der Walkerpfeiler an der Grandes Jorasses und ein Jahr später die Eiger Nordwand. Zu der damaligen Zeit war das Klettern in der Fränkischen allein Training für die hochalpinen Routen, die es zu bezwingen galt. Die Frage war nicht, ob man die Touren des Frankenjura schaffte, sondern lediglich wie viele hintereinander.

"Damals war es z.B. ein Ziel alle Routen im Pegnitztal an einem Tag zu klettern. Über das 'Wie' haben wir uns keine Gedanken gemacht." Dann aber kam im Jahr 1973 die Wende. Kurt Albert besuchte das Elbsandsteingebirge und mußte erstaunt feststellen, daß dort ganz anders geklettert wurde. Auf einmal war das 'Wie' die alle entscheidende Frage und der rein sportliche Aspekt und nicht etwa das Bezwingen der Wand um jeden Preis, stand im Vordergrund. Kurt gingen die Augen auf. Das war die wahre Seele des Klettersports, die er unbedingt ins heimatlichen Frankenjura übertragen wollte. Zusammen mit ein paar Freunden kam er auf die Idee, die frei überkletterten Haken mit roter Farbe anzumalen, um ein sichtbares Zeichen zu setzen. "Seht her – an diesem Haken muß man sich nicht hochziehen!"

Schnell wurde dieser Gedanke jedoch wieder über Bord geworfen und man begnügte sich mit einem roten Punkt am Einstieg eines jeden frei gekletterten Weges. Mit dieser neuen, für die damaligen westdeutschen Verhältnisse revolutionären Einstellung, sahen sich die fränkischen Freikletterpioniere einem schier unermeßlichen Felspotential gegenüber. Dazu schrieb Kurt 1977 zusammen mit Reiner Pickl im ALPINISMUS: "Selbst einige Touren, die bisher als ausgesprochene Hakenleitern galten, erhielten ihren roten Punkt. Da tauchten Griffe und Tritte auf, die wir nie vorher wahrgenommen hatten." Dies war die Geburtsstunde des Rotpunkt-Gedankens. Interessanterweise existierte die Freikletterei zwar schon viel früher im Elbsandstein und in den USA, doch bald wurde der Begriff "Rotpunkt" – selbst im englischen Sprachraum mit "redpoint" – zum Synonym für freies Klettern.

Frühe Reisen in die USA zeigten dem noch jungen Kurt die Notwendigkeit konsequenten Trainings auf, um schwierigste Wege durchsteigen zu können. Als auch noch der Pfälzer Wolfgang Güllich in die Fränkische zog, hatte sich das "Dreamteam" des deutschen Sportkletterns gefunden. Beide wurden im ALPIN MAGAZIN zur Seilschaft des Jahres 1981 ernannt. Kurt zog es auch zu dieser Zeit immer wieder in die Berge, um dort ebenfalls neue sportliche Akzente zu setzen. So gelang ihm u.a. die erste Begehung von "Locker vom Hocker" (8-/8) und die erste freie Begehung des "Bayerischen Traums" (8-), die sich beide an der Schüsselkarspitze befinden. Die Liste von Kurts Erstbegehungen ist lang und speziell im fränkischen Fels hat er wahre Klassiker hinterlassen, die zum großen Teil auch die schwierigsten Routen Deutschlands darstellten.

Besonders hervorzuheben sind Touren wie "Goldenes Dach" (8+), "Entsafter" (8+), "Erazerhead"(8+), "Sautanz" (9-), "Humbug" (9-), "Luftballondach" (9) oder "Magnet"(9/9+). Sein Einfluß auf den deutschen Klettersport kann gar nicht oft genug betont werden und drang sogar bis in höchste Kreise vor. So erhielt Kurt 1985 neben Wolfgang Güllich und Sepp Gschwendtner das 'Silberne Loorbeerblatt' – die höchste Sportauszeichnung der Bundesrepublik Deutschland. Sein hervorragender Ruf ist ihm bis heute geblieben. So engagierte ihn im letzten Jahr die 'Region Nürnberg e.V.' als Werbeträger für ihre Aktion 'Raum für starke Köpfe'. Als Kurt einmal nichtsahnend nach Nürnberg fuhr, sah er sich auf einmal an fast jeder Straßenecke mit seinem eigenen Konterfei konfrontiert und war extrem überrascht: "Ich wußte gar nicht, was die vorhatten".

Nachdem nun Kurt über Jahre hinweg die Fränkische mit den schwierigsten Routen der jeweiligen Zeit bereichert hatte, mußte er auf einmal feststellen, daß seine Finger keine größeren Belastungen mehr aushielten. Als es an den 10ten Grad ging, schleppte er sich nur von Verletzung zu Verletzung. Dieser Umstand erlaubte es ihm nicht, in höhere Grade einzudringen.

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überZeugenaufruf der Polizei Bayern - Präsidium Oberpfalz
QuelleMartin Joisten (Text und Fotos)