Reclimbing the Classics: “The Face” (8a+)

Das Gesicht ist ein Spiegel der Seele - sagte einmal ein kluger Mensch. Ob das Gesicht, das sich in den lichten Wäldern des Altmu?hltals versteckt, die Seele des su?dlichen Frankenjuras widerspiegelt? Zumindest beobachten die beiden Augen schon seit vielen Jahrtausenden das Treiben im Tal.

Erstbegeher Interview Jerry Moffatt:

Jerry Moffatt (c) MammutWann hast du mit dem Klettern angefangen?
Ich begann mit 15 das Klettern, und als ich mit 17 mit der Schule fertig war, hatten meine Eltern eigentlich erwartet, dass ich eine Ausbildung mache. Aber ich bin dann nur noch zum Klettern gegangen, sozusagen als Vollzeitkletterer.

Wie bist du darauf gekommen, “The Face” zu probieren?
Ich wohnte damals in Oberschöllenbach in der WG von Wolfgang Gu?llich und Kurt Albert. Der fränkische Boulderer Flipper Fietz hatte “The Face” entdeckt – so wie viele andere Routen in der Fränkischen Schweiz auch. Aber Flipper war nicht am Durchstieg interessiert. Wenn er alle Zu?ge klettern konnte, dann war fu?r ihn die Route gemacht.Es gab eine Menge solcher Projekte in der Fränkischen – Wolfgang hat mir eine Reihe davon gezeigt, so auch “Ekel” im Trubachtal, die ich recht schnell klettern konnte, die erste IX+ im Frankenjura. Und dann eben “The Face”, das von Flipper “Das Gesicht” genannt wurde. Wolfgang hat mich ins Altmu?hltal mitgenommen, denn er hatte dort ebenfalls ein Projekt, an dem er arbeitete.

Wie lange hast Du fu?r die Erstbegehung gebraucht?
Eigentlich hätte ich sie schon am zweiten Tag klettern können. Aber nach dem “FaceMove” hab' ich mir den Finger aufgerissen und konnte längere Zeit nicht mehr klettern. Und als der Finger endlich verheilt war, wollte niemand mit mir ins Altmu?hltal fahren. Es war der pure Alptraum – ich wusste, ich kann die Route klettern und niemand geht mit zum Sichern! Dann, zwei Tage vor meiner Abreise aus Deutschland, war zufällig Chris Gore, ein Freund aus England, in Oberschöllenbach. Der hatte einen Fu?hrerschein, und Wolfgang lieh uns sein Auto, so dass wir an den Schelleneckpfeiler fahren konnten, und ich kletterte die Route im ersten oder zweiten Versuch. Zuru?ckblickend muss ich aber auch sagen, dass wir damals den sogenannten “JoJo” Stil praktizierten. Wir kletterten nicht rotpunkt, sondern ließen uns nach einem Sturz wieder zuru?ck auf den Boden, und das Seil blieb im letzten Haken.

Was waren denn genau die Regeln des “JoJo” Stils?

Wie schon gesagt – nach einem Sturz musst du dich sofort zuru?ck auf den Boden lassen. Du darfst auch nicht im Seil hängend die nächsten Zu?ge probieren. Aber das Seil bleibt im letzten Haken hängen. So wird jeder neue Vorstiegsmeter zu einer Art on sight – aber das Ergebnis war, dass man die Routen oft toprope bis zum letzten Haken geklettert ist. Rotpunkt ist da sicher viel anstrengender!

Was glaubst du, ist der Hauptunterschied im Klettern zwischen den fru?hen 1980er Jahren und heute?
Der Hauptunterschied ist, glaube ich, dass wir damals längst nicht so viel Zeit in eine Route investiert haben. Ich brauchte insgesamt drei Tage fu?r “The Face”, und das war die längste Zeit, die ich jemals in eine Route investiert habe. Und es war fu?r mich auch ein Zeichen, dass die Route richtig, richtig schwer war. Normalerweise gingen wir einen Tag an eine Route, und meistens hatten wir sie dann in der Tasche.Wochen oder gar Monate hätte damals niemand in ein Projekt investiert! Ein weiterer Unterschied war, dass es viel weniger Kletterer gab. Unter der Woche hast du praktisch nie andere Leute an den Felsen getroffen. Ich erinnere mich, dass ich während meines ersten Frankenjura-Besuchs, der ungefähr vier Wochen dauerte, nie einen anderen Kletterer an den Felsen getroffen habe.

Du warst oft Gast in der legendären WG in Oberschöllenbach. Erzähl' doch ein bisschen davon!
Es war eine phantastische Zeit! Wolfgang hatte mich zu sich eingeladen und ich traf Kurt und ihn, sie waren, meine ich, damals in Deutschland die einzigen, die nichts anderes taten als zu klettern. Es war einfach u?berwältigend, diese Gastfreundschaft. Wolfgang hatte damals gerade ein großes Motivationsloch und ist fast nichts geklettert. So fuhr er mich fast jeden Tag in die Fränkische an irgendeinen Felsen, zeigte mir seine Route und sagte: »Versuch' diese!« oder »Probier' doch diese!« Und es gab keinen Neid, wenn ich seine schwersten Routen on sight klettern konnte. Ich hatte sogar das Gefu?hl, dass es ihn echt freute! Stell' dir das heute vor: Du lädst einen sehr guten Kletterer aus Deutschland nach England ein und der klettert die schwersten Routen des Landes on sight – grrrrrr! Nein, es war eine wunderbare Zeit mit Wolfgang und Kurt und den anderen!

Du warst auch im Frankenjura, als Wolfgang »Action Directe« geklettert ist?
Ja, ich war damals in Deutschland. Ich ahnte aber nicht, wie schwer die Route eigentlich war! Ich erinnere mich nur daran, dass mir Wolfgang erzählte, dass er an einer neuen Route arbeitet, die schwerer sei als alles, was er bisher gemacht hatte. Mit Wolfgang war das ganz komisch; manchmal hat er zwei Monate u?berhaupt nicht geklettert, und plötzlich war er wieder motiviert, wenn er ein neues Projekt hatte. Da trainierte er wie besessen, hielt streng Diät und kletterte wie verru?ckt. So war es auch vor »Action« – ich erinnere mich, dass er so mager war wie noch nie vorher. Und ich weiß noch, dass er immer wieder u?ber Schmerzen in den Fingern geklagt hat; bei »Action« war es wirklich auf Messers Schneide, ob er die Tour schafft oder nicht. Aber das Erstaunlichste an Wolfgang war, dass er sich niemals aufwärmte. So fuhr er mit dem Auto zur »Action«, ging zum Einstieg, band sich ein und kletterte los, machte den Einstiegssprung und setzte einen Rotpunkt-Versuch – total kalt und unaufgewärmt. Es war unglaublich! Ohne Aufwärmen einsteigen, losklettern und erst oben im Quergang rausfliegen, echt unglaublich! Ja, das sind gute Erinnerungen.

Du bist einige Jahre sehr erfolgreich Wettkämpfe geklettert; warum hast du damit aufgehört?
Als ich Wettkämpfe geklettert bin, hat es mir anfangs durchaus Spaß gemacht. Aber diese Wettkämpfe damals waren echt zäh, du musstest deine Ausgaben selber bezahlen und die Veranstalter haben sich kaum um die Kletterer geku?mmert. Manchmal bist du den ganzen Tag in der Isolation gesessen, bis du endlich klettern durftest. Beim letzten Wettbewerb, an dem ich teilgenommen habe – es war 1990 in Arco -, saß ich ab acht Uhr morgens in der Isolation und durfte erst um elf abends klettern! Das war einfach fu?rchterlich, und ich war ausgebrannt So hab' ich aufgehört Wettkämpfe zu klettern, bis vielleicht neue Motivation dafu?r zuru?ckkommt. Aber die Motivation fu?r Wettkämpfe kam nie mehr zuru?ck – und das war's dann (lacht!)

Und vor ungefähr vor zehn Jahren hast du mit dem Klettern aufgehört; warum dies?
Als ich etwa 40 war, habe ich mich allmählich aus dem Klettern zuru?ckgezogen. Ich hatte ja alles gemacht, was ich machen wollte und konnte. Es war schwierig, neue Motivation aufzubauen. Ich habe dann andere Dinge gemacht, einige Grundstu?cke gekauft, das hat viel Zeit gekostet. Und wenn du nicht ständig kletterst, ist es frustrierend zu sehen, wie schnell du schlecht kletterst. Es gab so viele andere Dinge, die ich nicht machen konnte, als ich noch geklettert bin. Und diese Dinge mache ich heute. Surfen ist eine meiner großen Leidenschaften geworden! Und dann spiele ich gerne Golf und mag Tontaubenschießen – es muss ja nicht immer nur Klettern sein (lacht!)

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QuelleAndreas Kubin, Fotos: Rainer Eder