Stefan Glowacz im Gespräch mit dem ALPIN Magazin: Quo vadis Alpinismus?

Ein Kongress in Brixen, eine K2-Lüge, touristische Erschließung der Berge. Das ALPIN Magazin wollte von Stefan Glowacz wissen: Wie macht sich der Alpinismus in der Spaßgesellschaft?


Stefan Glowacz im Gespräch 2005ALPIN Sind wir Menschen schon so daran gewöhnt, dass jeder nur seinen eigenen Vorteil im Auge hat?

G. Das meine ich! Ich mach das, weil ich das einfach für richtig halte. Ich seh' mit diesen Fahrgeschäften und Attraktionen in den Bergen eine Gefahr aufziehen, und glaube, dass man da eben kritisch sein muss.Ich finde es großartig, dass heute Leute für ihre Überzeugungen wieder auf die Straße gehen, wie momentan in Stuttgart. Und beim Alpspix hab ich mir gedacht: Es kann nicht sein, dass keiner das Maul aufmacht, obwohl viele Menschen den Alpspix ablehnen. Da war für mich der Augenblick gekommen aktiv zu werden,  gewissermaßen meine Popularität auszunutzen um auf die Gefährlichkeit solcher Baumaßnahmen aufmerksam zu machen.Natürlich kam der Bumerang  prompt auf mich zurück. “Du machst es doch nur, weil du mediengeil bist”, war noch eines der harmlosesten Argumente der Befürworter.

ALPIN: Könnte man nicht sagen: Macht da an der Osterfelderbahn so einen Alpspix, aber lasst dafür das Oberreintal unberührt?

G. Ich finde, daß diese “Oktoberfestattraktionen generell nicht in die Alpen gehören und wie ich es befürchtet habe, sich dieser Trend auch fortsetzt.  Vor kurzem rief mich eine  Zeitung an: “Was halten sie von dem künstlichen Wasserfall der im Karwendel entstehen soll?” Ist es zu fassen? Sie bauen also eine künstliche Wasserfallanlage, um wiederum eine neue Attraktion zu schaffen. Denn Garmisch hat ja den Alpspix, jetzt will Mittenwald neben ihrer Röhre eine weitere Attraktion erschaffen, um Fahrgäste auch wieder zu ihrer Bahn zu locken.Das ist eine Spirale die sich dreht und dreht und dreht. Wo fängt es an und wo hört es auf. Und mein Standpunkt ist: Was hier passiert, nimmt eine Eigendynamik an, die nicht mehr zu stoppen ist, wenn man nicht frühzeitig darüber nachdenkt. Es funktioniert ja, das Fahrgeschäft der Osterfelderbahn hat sich spürbar verbessert. Was gibt es da noch für ein Gegenargument?

ALPIN: Ist diese Entwicklung ein wenig wie Cybersex gegen echten Sex?

G. Der Vergleich gefällt mir. Bergsteigen boomt sein Jahren. Die Menschen haben die Sehnsucht, sich selber zu erspüren. Auf einen Berg zu laufen, ihren inneren Schweinehund dabei zu überwinden und dann oben zu stehen und einfach nur glücklich zu sein. Dieses Gefühl kann und wird niemals ein ipad virtuell erzeugen können.  Im Gegenteil: Je virtueller die Welt wird, umso mehr baut sich die Sehnsucht nach dem Authentischem, im wahrsten Sinne des Wortes dem “Begreifbarem” auf. Wie Sex eben.

ALPIN: Der Computer kann eine Tour mitunter detailgetreu wiedergeben.

G. Meine Vorbilder sind eigentlich die alten Abenteurer, Nansen, Scott oder Shakleton. Die sind aufgebrochen und wussten überhaupt nicht was sie erwartet. Das  waren die echten Entdecker. Wir, mit Google-Earth, wir wissen heutzutage eigentlich schon ziemlich viel und in Zukunft so gut wie alles bevor wir überhaupt den Bürosessel verlassen. Die Welt wird virtuell betretbar. Das hilft natürlich auf den ersten Blick ganz enorm, was die Auswahl der Ziele angeht. Mit Google Earth und ein paar Klicks kann man sich unter Umständen sehr viel Mühen sparen. Aber ich glaube, daß wird uns sehr viel von dem Abenteuer nehmen. Es fängt ja schon im Kleinen an, dass man auf örtlichen Internetseiten den Wetterbericht für Patagonien abrufen kann.  Dann sitzt man zu Hause, standby, wartet auf ein schönes Wetterfenster und  fliegt dann rüber. Wie pervers ist das!  Wo bleibt die Faszination des Bergsteigens wenn ich Im Zelt  sitze, und alle paar Stunden in Innsbruck den Gabl Charly (Österreichischer Wetterexperte, d. Red.) anrufe?

ALPIN: Und die Alternative?

G. Den Höhenmesser zu beobachten, aus dem Zelt zu schauen und sich einen eigenen Eindruck machen und sich permanent die Frage stellen: “Können wir es wagen?” Ich behaupte, ohne diese abgerufenen Wetterberichte, wäre nur ein Bruchteil von den Expeditionen an den Bergen der Welt erfolgreich gewesen. Da muss ich sagen: Das Satellitentelefon ist ein Hilfsmittel wie ein Fixseil. Das muss uns bewusst sein! Aber klar, Expeditionen sind teuer, der Erfolgsdruck lastet auf den Protagonisten daher müssen die Erfolgsaussichten maximiert werden. Mit den zukünftigen Computergenerationen  werden noch ganz andere  Möglichkeiten entstehen. Was bleibt dann noch vom großen Abenteuer Bergsteigen übrig?

ALPIN: Also ist der Abenteuercharakter ohne technischen Support ungleich größer?

G. Natürlich. Zeit wird in unserer Gesellschaft der größte Luxus werden,  Zeit für uns selber. Und um die knappe Zeit sinnvoll zu nutzen, versuchen wir, alle Unwägbarkeiten die Zeit kosten könnten, schon im Vorfeld auszuschießen. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass das wahre Abenteuer beim Expeditionsbergsteigen, den bewussten Verzicht voraussetzt. Die Reduzierung auf die eigenen körperlichen und mentalen Fähigkeiten. So wie ich es seit Jahren praktiziere unter dem Aspekt “by fair means”. In letzter Konsequent würde ich auch sagen, man muss dann auch auf das Satellitentelefon verzichten, aber da hab ich eine eigene Meinung: Ich würde immer eines mitnehmen, weil ich mir nicht vorwerfen möchte, dass ich damit ein Menschenleben hätte retten können. Ein Menschenleben zu retten, das steht für mich persönlich über jeder bergsteigerischen Ethik.

ALPIN: Verhindern die Hilfsmittel nicht das Entstehen eigener Instinkte?

G. Darin besteht eine große Gefahr, vor allem für den Hobbybergsteiger. Man darf  sein Hirn nicht  an der Partnachklamm abgeben, nur weil man sich auf sein GPS-Gerät verlässt. Eines Tages werden uns  GPS-Geräte zur Verfügung stehen, auf denen der Weg den du gehst, wie im Fernsehapparat angezeigt werden. Wenn diese “elektronischen Krücken” plötzlich nicht mehr funktionieren, dann muss man in der Lage sein, wieder mit dem Kompass zu navigieren und eine Karte lesen zu können. Sonst bist du schnell in größter Lebensgefahr.

ALPIN: Verkümmern solche Instinkte nicht wie das Kopfrechnen? Verkümmert das Abenteuer.

G. Die Frage stell ich mir oft: Ist das nicht eine verkehrt romantische Vorstellung? Aber ich meine, man sollte zumindest einen Denkanstoß geben. Und wir sollten schon deshalb unsere natürlichen Instinkte schärfen, weil solche Geräte ausfallen können.

ALPIN: Verkümmerung ist eine Entwicklung. Wächst dadurch nicht auch Sehnsucht nach Erlebnis?

G. Extrem! Es gab mal Jahre,  in denen  Vorträge so vor sich hindümpelten. Es war der Beginn des Zeitalters, als man sich durch Youtube alles auf den Schreibtisch holen konnte. Jetzt erleben wir Referenten wieder starken Zulauf und starkes Interesse an unseren Vorträgen.  Das zeigt mir, letztendlich sehnen wir Menschen uns nach etwas Authentischem. Und wenn ich nur mit einem Projektor unterwegs wäre und nur Anekdoten erzählen würde, die Leute wären begeistert, wie bei Vorträgen von Rüdiger Nehberg. Du spürst die Begeisterung für Abenteuer. Und als Vortragender bist du Ideengeber und Vorbild. Ein Botschafter, der gehört wird. Wir, die im Fokus stehen, die Messners, Hubers, Kaltenbrunners, haben eine Verantwortung, weil sich viele an dem orientieren, was wir ihnen vorleben, auch was die Werte betrifft, die wir vermitteln. Und wenn wir jetzt  in dieses Schneller-Höher-Weiter verfallen, ins Sensationsbergsteigen abdriften, dann tun wir dem Alpinismus keinen Gefallen.

ALPIN: Stichwort Free-Solo-Klettern, ist ja wieder mal sehr im Gespräch.

G. Ich habe bei diesem Thema kein gutes Gefühl. Wie gesagt, wir haben auch gegenüber den nachfolgenden Klettergenerationen eine große Verantwortung. Mir wird mit diesem Thema in den Medien einfach zu unkritisch umgegangen. In einer der letzten Ausgaben von Euch habe ich über eine ganze Seite den Alex Huber solo im “Locker vom Hocker” betrachtet. Wenn ich als 15 jähriger Stefan dieses Bild gesehen hätte, wäre ich total begeistert gewesen. Das hätte ich auch unbedingt machen wollen. Und selbst der Text dazu enthielt kein einziges kritisches Wort, keinen Hinweis darauf, wie bewusst Alex sich einer unglaublichen Lebensgefahr in diesem Moment aussetzt. Ich selbst bin über acht Jahre lang solo geklettert, habe das Rädchen immer weiter gedreht, bis ich abstürzte. Mir brach ein Griff aus, den ich für hundertprozentig sicher hielt und stürzte aus fast 10 Metern auf den Boden. Ich verletzte mich schwer dabei und habe als Andenken daran immer noch eine Platte und vier Schrauben im Körper. Ich weiß, wovon ich spreche.
 
ALPIN: Sind wir beim Nachwuchs.

G. Ich sehe hochtalentierte, extrem leistungsfähige junge Kletterinnen und Kletterer, aber welche, die den Klettersport und das Bergsteigen weiterbringen könnten, da sehe ich wenig Potential.  Chris Sharma hat mich als einer der Wenigen in den letzten Jahren wirklich sehr beeindruckt, aber den kannst du auch nicht mehr als Jungen verkaufen.  Der hat das Klettern noch einmal in eine neue Dimension gehoben. Chris hat nie lange herumgeschwätzt, sondern sein Ding gemacht und damit Marksteine gelegt. Dabei ist er immer bescheiden geblieben und man spürt, der Kerl hat wirklich Spaß an dem was er tut, auch abseits der Kletterei. Für mich ist Chris einer der letzten, ganz großen Visionäre im Klettersport und durch die Art wie er den Klettersport verkörpert ein Vorbild für uns alle.

Interview: Clemens Kratzer und Olaf Perwitzschky
Mit freundlicher Genehmigung des ALPIN Magazins

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QuelleClemens Kratzer, Olaf Perwitzschky (ALPIN Magazin), Fotos: M.Joisten, RedChili