Für das Paar jedoch stellte sich der Erfolg unerwartet schnell ein. "Die ganze Expedition hat wirklich wie am Schnürchen geklappt, kein Tag des Wartens wegen schlechten Wetters oder anderer Verzögerungen", berichten von Melle und Stitzinger aus dem Basislager in Tibet. Schließlich waren nur 25 Tage seit Expeditionsbeginn vergangen. "Angeblich wurde die Shisha Pangma noch nie vor Mai – mit Ausnahme der Winter-Begehung Moro´s und Morawski´s – bestiegen. Wir schätzen uns glücklich, so schnell und komplikationslos zum Zuge gekommen zu sein", so das Ehepaar.
Somit ist Alix von Melle und Luis Stitzinger bereits der sechste Gipfelerfolg an einem Achttausender ohne Verwendung künstlichen Sauerstoffs geglückt. In den Jahren zuvor standen sie auf den Gipfeln des Cho Oyu, Gasherbrum II, Nanga Parbat, Dhaulagiri und Broad Peak – am Makalu, K2 und Manaslu hatten sie umkehren müssen.
Zuvor hatten von Melle und Stitzinger zur Akklimatisation eine Trekkingtour in der Annapurna-Region in Nepal absolviert. Ende April waren sie dann mit einer Expeditionsgruppe nach Tibet und zu dem mit Fahrzeugen erreichbaren Basislager angereist. Ungewöhnlich viel Schnee fanden sie dort vor und so ging es bereits zum vorgezogenen Basislager (ABC) auf 5650 m mit Ski. Bis dorthin hatten sie die Logistik der Gruppe genutzt, nun waren sie auf sich gestellt.Zusammen mit dem befreundeten Expeditionsbergsteiger Rupert Hauer transportierten sie ihre gesamte Ausrüstung von dort selbst bis in die benötigten Hochlager. Unerwartet bald erfuhren sie dann von einer positiven Wetter-Prognose und so entschieden sie sich für einen sehr frühen Gipfelversuch am 30. April. Zwei Tage zuvor brachen von Melle, Stitzinger und Hauer zunächst zum Lager C1 (6450 m) und einen Tag später zum Lager C2 (7100 m) am oberen Ende eines vergletscherten Hochtales auf.
Der Gipfeltag begann kalt – die Bergsteiger hatten bereits im Daunenanzug in den Schlafsäcken genächtigt. Um 2.15 Uhr brachen sie auf und stiegen mit Pickeln ohne Fixseile über 40-45 Grad steile Hänge – wechselnd durch Schnee oder über Blankeis. Angesichts der Verhältnisse entschieden sie sich, anstelle der Normalroute auf den Zentralgipfel, die Inaki-Variante durch die Nordost-Wand des Gipfels zum Hauptgipfel zu versuchen.Diese führte sie – bei zunächst traumhaft schönem Wetter – durch eine bis zu 50 Grad steile Rinne, in der knietiefer Schnee mit pickelhartem, blauem Wassereis abwechselte. Nach einigen Schneeflanken war eine Einsattelung unterhalb des ausgesetzten Gipfelgrates erreicht. Dort jedoch überraschte die Bergsteiger ein jäh zunehmender Wind. "Die Böen erreichten Geschwindigkeiten, die uns ein paar Mal regelrecht von den Füßen hoben", berichtet von Melle. Sie sahen ihre Chancen schon dahinschwinden.
Nach einer halben Stunde Wartezeit jedoch wurde der Wind schwächer, am kurzen Seil starteten sie einen Versuch – und erreichten über den messerscharfen Grat einen Vorgipfel. "Zuvor haben wir unsere Ski an einer sicheren Stelle tief in den Schnee eingerammt, so dass sie der Sturm nicht hinfort reißen kann", schildert Stitzinger. Bald war dann auch der kurze, aber sehr exponierte Verbindungsgrad zum Hauptgipfel überwunden und um 13.30 Uhr standen sie auf dem höchsten Punkt: 8027 m. Etwa eine halbe Stunde genossen sie die Aussicht auf Mt. Everest, Lhotse, Nuptse und Cho Oyu. Dann begann der Abstieg: Luis Stitzinger fuhr mit Ski hinab, Alix von Melle stieg zu Fuß ab.
"Die Flanken waren bretthart oder sogar blank gefegt – keine idealen Skiverhältnisse", beschreibt Stitzinger die Abfahrt. Zudem bemerkte er nach etwa der Hälfte der Strecke technische Probleme mit der Skibindung. "In dem Steilgelände kein Spaß", meint er lakonisch. Nach einer improvisierten Reparatur konnte Stitzinger die Abfahrt fortsetzen und traf im Lager C2 seine Ehefrau. Nach einer weiteren Nacht fuhren sie bei schlechtem Wetter gemeinsam mit Ski ab bis zum Gletscherbruch oberhalb des Basislagers. Mittlerweile sind beide auf der Rückreise über Kathmandu (Nepal) nach Hause.