Was es bedeutet in der arktischen Eiswüste Baffin Islands – der fünftgrößten Insel der Welt im Nordosten Kanadas – ausgesetzt zu sein, das wurde uns allen erst klar, als uns die Inuitjäger schließlich verließen.
Seit meiner Spitzbergen-Expedition im Frühjahr 2007 wusste ich zwar ungefähr was uns in Polarregionen wie Baffin Island erwarten würde. Die eisige Kälte bis -40°C, hatte uns das Leben und Klettern auf Spitzbergen enorm erschwert.
Gegen die ständige Eisbärengefahr auf Baffin Island hatte ich zwar einen Eisbärenzaun für das Basislager gebastelt, er diente uns als Alarmanlage vor den ungebetenen Gästen, trotzdem waren wir aber immer angespannt und auf der Hut.
Wir waren in einer für uns unwirklich erscheinenden polaren Welt aus Eis und riesigen Felswänden unterwegs, um die letzten weißen Flecken der Landkarte zu entdecken, die noch nicht erforscht waren. Nachdem wir jeden Winkel des Quernbitter Fjordes erkundet hatten, entschlossen wir uns für die Erstbesteigung der Bastion. Diese gigantische Wand ragt über 700 Meter senkrecht und überhängend direkt aus dem Meer am Eingang des Buchan Golfs.
Es war so kalt, dass man schon beim kurzen Ausziehen der Handschuhe Gefahr lief Erfrierungen zu erleiden und das Leben und Klettern wurde in der Wand zur ganz großen Herausforderung.
Es war nur in der Winterzeit überhaupt möglich, diese Wand über das zugefrorene Meer zu erreichen, da die Fjorde im Sommer komplett auftauen und sich in eine wilde und turbulente See verwandeln. Bisher hat es nach unseren Recherchen noch kein Kletterer versucht, die Bigwalls im Nordosten der Insel zu erkunden.
Wir begannen die Kletterei bei -25°C und Schneefall. Erste Erfrierungen an Nase und Zehen waren die Folge. Über unsere Fixseile kehrten wir immer wieder ins Basislager zurück. Wir trafen auf sehr hohen Schwierigkeiten in der Wand, 21 Seillängen und Grad 10-/A4. Keine andere Expedition konnte bisher auf Baffin Island, ähnlich hohe Schwierigkeiten bewältigen.
Vier Tage verbrachten wir permanent in der Wand und wie durch ein Wunder hatten wir plötzlich bestes Wetter und angenehme Temperaturen um den Gefrierpunkt. Die Mitternachtssonne verzauberte alles in ein unglaubliches Licht und man vergaß alle mühen und Strapazen. Zusammen mit dem Photograf Klaus Fengler, Kameramann Holger Heuber, und Kameraassistent Mariusz Hoffmann erreichen wir alle gemeinsam den Gipfel.
Wir waren unter großem Zeitdruck. Spätestens Mitte Mai mussten wir uns auf den 350 Kilometer langen Rückmarsch mit Skis und Pulkas, die an die 100kg wogen, zurück in die Zivilisation machen, bevor das Eis aufbricht und unsere Lebensmittelvorräte aufgebraucht waren. Ich empfand die endlose Weite des Eismeers, bis Grönland lag ja kein Land mehr dazwischen, viel haltloser und anstrengender als die vertikale Wand in der wir geklettert waren.Packeis, übereinander geschobene, unüberwindbare Eisschollen, die sich über riesige Flächen erstrecken und immer wieder White Out, in dem die Eisfläche und Himmel ineinander verschwimmen und man fast die eigene Hand vor den Augen nicht mehr sehen kann erschwerten die Orientierung.
Nach 16 Tagen Rückmarsch und sieben Wochen in der Eiswüste erreichten wir ausgezehrt und erschöpft, aber überglücklich die Inuit Siedlung Clyde River.
Mit Worten sind solche Momente schwer zu beschreiben. Ich empfand eine tiefe innere Zufriedenheit über das bestandene Abenteuer und die gute Rückkehr. Für mich sind aber die Erlebnisse auch immer wieder die treibende Kraft für den nächsten Aufbruch in ein neues Abenteuer.