Bernd, ein altes Kletterfoto zeigt dich als kleinen Jungen mit einer Wäscheleine um die Brust. Wo ist es entstanden?
Am Panoramafels, als ich 12 Jahre alt war. Die Wäscheleine ist von meiner Mutter, und weil es eben nur eine Wäscheleine war und kein richtiges Seil, haben wir sie sicherheitshalber doppelt genommen. Das Bild hat ein Schulfreund von mir gemacht, der ein bisschen älter war als ich. Ihm verdanke ich sozusagen meine ersten Kletterfotos.
Und die Eltern wussten nichts von eurem Treiben?
Dass ich von der Kletterei begeistert bin, wussten sie schon – aber nicht, was wir da gemacht haben. Ich hatte ja die “Kletterausrüstung” nicht zu Hause, sondern in einer Kiste bei unserem Doktor in der Gartenlaube versteckt. Immer, wenn wir klettern gegangen sind, hab ich sie geholt. Wobei Ausrüstung zu viel gesagt ist – sie bestand im Grunde nur aus drei Karabinern. Einen davon hatte ich am Türkenkopf gefunden, der war schon ganz verrostet. Die anderen beiden hatte mir meine Mutter zusammen mit zwei Schlingen in der Spowa gekauft – irgendwie muss sie meine Wünsche also respektiert haben. Das mit der Kiste ist aber dann aufgeflogen. Der Doktor fand sie eines Tages und gab sie meinem Vater. Und da war’s dann für uns mit dem Klettern erstmal vorbei.
Du warst also 12, als du mit dem Klettern anfingst?
Naja, das kann man wohl nicht so genau sagen. Irgendwo muss man ja einen Anfang setzen. Wenn ich vermessen wäre, würde ich sagen, ich war schon mit fünf Jahren ein begeisterter Bergsteiger. Was natürlich nicht stimmt, weil man da ja nur gespielt hat. Wenn ich Bergsteiger spiele als Kind, dann ist das was anderes, als wenn ich mit zwölf Jahren bewusst auf einen Kletterfelsen hochsteige. Für mich ist der Panoramafels der Anfang.
Da wurde aus dem Kinderspiel eine ernsthafte Begeisterung…
Ja, und ich war mir auch des Risikos bewusst. Es war genügend Angst vorhanden.
Ging das denn gut?
Beim ersten Mal wollte ich da alleine hoch, hab mir aber vor Angst fast in die Hosen gemacht und bin wieder umgedreht. Am nächsten Tag bin ich dann mit meinen Freunden nochmal hin
– und mit der Wäscheleine. Da sind wir dann hochgekommen. Das war auch der Tag, als das Foto entstand. Die eigene Angst zu besiegen und das, was man will, aus eigener Kraft zu schaffen – das ist eben der Unterschied.
Wann hast du gemerkt, dass aus dem Klettern etwas wurde, bei dem du an deine Grenzen und darüber hinausgehen wolltest?
Ich würde sagen, das alleine zu machen, hatte schon was damit zu tun – auch wenn man es mit zwölf Jahren noch nicht so definiert. Im Inneren ist es schon angelegt. Und, was man gut kann, macht man auch besonders gerne. Deshalb hab ich das weiter verfolgt und mit 14 dann schon mit meinem damaligen Verständnis versucht, System reinzubringen und zu trainieren, um besser klettern zu können.
An Grenzen bist du in ganz anderem Sinne gestoßen, weil du zu DDR-Zeiten nicht in den Westen durftest, obwohl du Einladungen von Bergfreunden hattest…
Das war dann später. Anfangs hat mich mein sportliches Tun im Elbsandsteingebirge so ausgefüllt, das ich nichts vermisst hab. Außerdem gab es die Hohe Tatra, wo man hindurfte – und das ist ja nach wie vor ein ernstzunehmendes Gebirge. Damit war ich eigentlich gut versorgt. Wenn man sich auch theoretisch in den Alpen ganz gut auskannte, durch Bücher… Aber trotzdem – man war ausgefüllt.
Wann kam der Punkt, an dem du gemerkt hast, dass du auch mal woanders klettern wolltest?
Bergsport ist ja auch mit Reisen verbunden. Schon zu DDR-Zeiten war ich in allen bergigen Ostblockländern und sogar zweimal im Kaukasus unterwegs. Der Wunsch, über die politischen Grenzen zu gehen, der kam dann, als ich durch die Anerkennung von außen merkte, dass das, was wir hier machen, eine Bedeutung hat – und zwar für den gesamten Klettersport. Und dann möchtest du natürlich das, was die anderen machen, gerne kennenlernen.
War das eine Art Kompensation für dich? Die Grenzen nach oben zu sprengen, weil es nach außen nicht ging?
Ich denke schon, dass das mit eine Motivation war, die eigenen Leistungen noch mehr zu perfektionieren. Im Rahmen der Möglichkeiten – denn man war ja auch ins Berufsleben eingebunden.
Woran hast du dich damals gemessen?
An meinen Zielen. Man macht ja immer so verschiedene Phasen durch. Mitte der 60er-Jahre hab ich mich noch ein bisschen mit anderen verglichen, bis ich merkte, dass mir das nicht guttut. Weil du dann nicht auf dich selbst fokussiert bist. Wenn man sich stattdessen an den eigenen Zielen orientiert, findet man dabei seinen inneren Frieden. Und ich glaub, es ist sogar wissenschaftlich erwiesen, dass man seine Möglichkeiten nur dann wirklich ausschöpft, wenn es aus einem selbst herauskommt. Solange es aus einem Konkurrenzdenken resultiert, ist immer ein Giftpfeil dabei.
Und dann ist es umgekehrt gekommen, und andere haben sich von dir viel abgeguckt.
Abgucken ist was anderes. Das hab ich auch gemacht. In den 60ern hab ich beispielsweise die Nähe von Herbert Richter gesucht… Oder meine Zeit mit Willy Häntzschel. Die war großartig.
Wie schätzt du deinen Einfluss auf die Entwicklung des Kletterns im Westen ein? Du warst ja zum Beispiel mit Kurt Albert eng befreundet.
Darüber hab ich mir noch keine Gedanken gemacht.
Was ist für dich das Besondere am Klettern im Elbsandsteingebirge?
Die Landschaft spielt für mich beim Klettern immer eine große Rolle. Hier ist sie so vielseitig, dass es auch auf engem Raum nie langweilig wird. Und dann gefällt mir eben der Sandstein so gut. Ich bin ja inzwischen an allen Gesteinsarten geklettert, die es gibt, und der Elbsandstein ist einfach unübertroffen. Das hat etwas mit den Felsformen und der Reibung zu tun, die ganz verschiedene Bewegungsabläufe herausfordern. Und es hat auch was mit den Freunden zu tun, mit denen man immer unterwegs ist. So kommt alles zusammen. Im Elbsandsteingebirge, würde ich sagen, kann man alt werden.
Und die Art und Weise, wie hier geklettert wird? Sehr traditionell.
Darüber wird, glaube ich, viel zu viel geschwafelt. Geklettert wird immer mit Händen und Füßen. Dass man am Fels Hilfsmittel benutzt – also Leitern zum Beispiel – das ist ja nun schon lange Geschichte. Auf der ganzen Welt wird mit Händen und Füßen geklettert. Der einzige Unterschied ist die Absicherung. Das Klettern im Elbsandstein ist ein bisschen ernsthafter. Das muss man einfach mal so sagen. Es ist ernsthafter, ein bisschen wie im Hochgebirge. Man muss mehr vorausdenken. Die Anforderungen sind dadurch psychisch höher, was kein Nachteil ist. Das Erlebnis wird größer.
Dich hat das nie gestört…
Im Gegenteil. Ich kann aber auch die anderen verstehen. Denn ich sitze nicht auf einem Thron und will, dass alle das gleiche Risiko hinnehmen. Es gibt Leute, die das nicht können oder nicht die nervliche Stärke dafür haben. Denen muss man auch eine Spielwiese anbieten.
Du hast deinen Abenteuergeist nach der Wende reichlich in der Welt ausgelebt, warst in Patagonien, in der Sahara, trotzdem liebst du die Sächsische Schweiz.
Das ist ja das Schöne, wenn man eine Heimat hat. Das hat was mit Wohlfühlen zu tun. Das schließt ja nicht aus, dass man mal rausgeht aus seiner Heimat, aber man freut sich eben immer wieder zurück zu kommen. Das ist wie ein Schneckenhaus.
Mittlerweile schließt sich der Kreis, und du gehst mit deinen Enkeln in der heimischen Sandsteinwelt klettern. Was empfindest du dabei?
Das ist einfach der Lauf der Welt. Das hab ich ja mit meiner Frau Christine schon erlebt, die ich zum Klettern gebracht hab. Damals war ich noch jünger und unerfahrener. Dann kam unsere Tochter – und jetzt sind’s eben die Enkel. Es ist einfach so, dass man das weitergibt, was man selber verinnerlicht hat. Man hofft, dass es angenommen wird, das weiß man aber nie. Das ist eben der Bogen, den man beim Altwerden erfährt, und da kann man auch mit Freude alt werden und muss nicht verbittert sein, wenn man selbst auf manches nicht mehr hochkommt.
Gespräch: Hartmut Landgraf