Anna Stöhr und Edu Marin in 'Fiesta De Los Biceps' (c) Rainer Eder
Anna Stöhr und Edu Marin in 'Fiesta De Los Biceps' (c) Rainer Eder (PHOTOPRESS/visualimpact.ch/Rainer Eder)

“Fiesta de los biceps”: ein Name, der Programm ist und ein Name, der seinen festen Platz gefunden hat in der ewigen Bestenliste der schönsten Klettertouren auf dieser Erde.

Mallos de Riglos

Riglos heißt ein kleines, verschlafenes Bauerndorf in den südlichen Vorbergen der Pyrenäen – ein Dorf, wie es in Aragonien wahrscheinlich zahllose gibt. Wären da nicht die “mallos”, was im einheimischen Dialekt “Mugel” oder “Hügel” bedeutet! Diese “mallos” machen das Dorf zum Treffpunkt von Kletterern aus aller Welt, die das Besondere suchen. Allerdings sind die bis 250 Meter hoch aufragenden Felstürme, die wie eine Gruppe versteinerter Riesen über dem Dorf aufragen, alles andere als “Mugel”!

Ganz besonders einer nicht: der “Mallo Puro”, eine über 80 Meter hohe bizarre Felsnadel, die aus dem Massiv des “Mallo Norte” wie ein gewaltiger Finger in den Himmel zeigt. Seine epische Erstbesteigungsgeschichte, bei der einige tragische Unfälle passierten, endete 1953, als M. Bescós, A. Rabadá und A. Lopéz nach zwei Tagen als erste auf dem filigranen Gipfel standen – bis heute ist “El Puro” der schwierigste Gipfel auf der Iberischen Halbinsel, immerhin Schwierigkeitsgrad 6b!

Fotostrecke: Anna Stöhr und Edu Marin in ‘Fiesta De Los Biceps’



Der eigentliche Blickfang über dem Dörfchen Riglos ist allerdings die Wand des “Mallo La Visera”. Sie startet senkrecht vom Boden weg und neigt sich mit zunehmender Höhe immer weiter nach außen, um schließlich in einem gewaltigen Überhang geradezu zu explodieren. Ein gutes Dutzend Routen führen durch diese Wand, aber jede von ihnen verblasst gegenüber der atemberaubenden Linie von “Fiesta de los Biceps”: Nach der leichten (6a) Einstiegsverschneidung steilt sich die Wand allmählich auf, um in der dritten Seillänge gleich die Schlüsselstelle zu präsentieren: eine kleingriffige Wand, die durch die ungezählten Begehungen bereits ordentlich poliert ist und den Schwierigkeitsgrad 7a durchaus verdient – der Schlüssel zum Himmel und bei Sonneneinstrahlung eine wahrlich harte Nuss!

Und der Kletterhimmel folgt: Von Seillänge zu Seillänge geht es überhängender himmelwärts, immer an guten bis riesengroßen Griffen, keine markant schwierige Einzelstelle, aber anhaltend fordernd. Ein großes Himmelsfest für alle, denen es an Ausdauerkraft nicht mangelt, die Hölle auf Erden für diejenigen, die irgendwo zwischen den riesigen Kieselgriffen die Kraft verlässt; manch einer ist schon an den Riesenhenkeln in der siebten Seillänge (6c+) buchstäblich “verhungert”…

Ein Fest für die Oberarme

Die erste Route durch die eindrucksvolle Wand des “Mallo La Visera” stammt aus dem Jahr 1976 – “Mosquitos” folgt einer logischen Serie von Rissen und Verschneidungen im rechten Teil der Wand und bewegt sich meist im V. Schwierigkeitsgrad mit je einer Länge 6a und einer 6b. Bis das “Fest für die Oberarme” eröffnet werden sollte, mussten fast zehn Jahre vergehen: 1985 waren es F. Caballé, S. Arnaudas, F. Gutiérrez, J. L. Lombardo und M. Carasol, die nach vielen Tagen die Linie durch den zentralen Wandteil vollendeten, die heute die bekannteste Route in den “mallos” ist und die die Mallos de Riglos weltweit bekannt gemacht hat.

Die kletternde Öffentlichkeit in Europa erfuhr aber erst im Jahr 1989 von “Fiesta”: Am 13. April kletterte Carlos García, damals einer der besten spanischen Sportkletterer, free solo durch diesen überhängenden Ozean aus kleinen und großen Kieseln. In der spanischen Kletterzeitung “Desnivel” erschien kurze Zeit später ein genialer Artikel von Carlos mit einigen Bildern, wie man sie bis dahin noch nicht gesehen hat: kleiner Mensch in gewaltiger Wand, an großen Griffen hängend zwar, aber der kleinste Fehler wäre dennoch fatal…

Video: Anna Stöhr und Edu Marin in ‘Fiesta De Los Biceps’

“… Feste sind zum Feiern da! Ich spreche mit meinem Freund, dem Fels, setze mich mit ihm auseinander, beklettere ihn. Ein Geier nutzt die Brise, gleitet sanft dahin und beobachtet mich neugierig. Ich frage mich, was er sich dabei denkt… Ich klettere, gewinne an Höhe, wachse an mir selbst, lehne mich gegen das Immergleiche, das Althergebrachte auf. Mit meinem Alleingang verwirkliche ich etwas, was gegen die etablierten Normen der Gesellschaft rebelliert. Diese zerstörerische Gesellschaft von Richtern und Henkern, welche die Menschen krank macht und zerstört. Die Mutter Erde stirbt, und der Mensch ist es, der sie tötet… Die Menschen betrachten mich mit fassungsloser Neugier. Und ich folge weiter meinen Träumen von der Freiheit.” (C. García in “Desnivel” 48/1989)

Als Nachtrag zum Free Solo von “Fiesta” sei erwähnt, dass der amerikanische Topkletterer Alex Honnold während eines Spanienbesuchs im März 2012 noch einen draufsetzte: Er kletterte das “Fest für die Oberarme” free solo, ohne die Tour vorher zu kennen – on sight free solo, die Perfektion des Felskletterns!

Anna, Edu und Carlos…

Als Anna Stöhr aus Innsbruck und Edu Marin aus Barcelona – beide Mitglieder des Mammut-Pro-Teams – im Februar 2016 zum ersten Mal unter der Wand des La Visera stehen, biegt es beiden buchstäblich den Kopf ins Genick. Atemberaubend zieht sich eine helle Linie aus magnesiagefärbten Griffen durch den haltlosen Ozean aus Kieseln nach oben, immer steiler, überhängender, um sich nur kurz zurückzuneigen und schließlich im Gipfelplateau zu kulminieren.

Sie waren angereist, um zusammen eine der berühmtesten Kletterrouten der Welt kennenzulernen. Edu erinnert sich: “Als ich zum ersten Mal unter der Wand stand, war das eine ganz besondere Erfahrung wegen des eigenartigen Gesteins. Du glaubst, du kletterst an riesengroßen Kartoffeln nach oben.” Und Anna meint: “Als wir das erste Mal ums Eck gebogen sind und ich die Türme in dieser coolen Landschaft sah, war das schon beeindruckend. Außerdem hab ich von meinem Zimmerfenster direkt auf die Wand blicken können.”

Wegen der Kletterschwierigkeiten brauchen sich die beiden keine Sorgen zu machen – schließlich ist Anna dreifache Weltcup-Gesamtsiegerin und zweifache Weltmeisterin im Bouldern. Und Edu zählt zu den besten Sportkletterern seines Landes und kennt einige der schwierigsten Routen in Spanien, darunter sind auch einige OnSight-Erfolge im Grad 8c. Trotzdem meint er: “Es ist wirklich eine verrückte Kletterei! Es ist ein bisschen Angst einflößend, an diesen Riesenkartoffeln hinaufzuklettern, denn du weißt nie ganz sicher, ob die Dinger auch halten oder ob dir der ganze Kartoffelacker um die Ohren fliegt.”

Und Anna ergänzt: “Eigentlich ist der Stil der Kletterei dem Hallenklettern recht ähnlich. Man hat nie einen richtig schlechten Griff in der Hand und hangelt sich eigentlich an Riesenhenkeln durch die Überhänge. Die Steilheit der Wand ist imposant, und wenn dann noch ständig die Geier, die in den Türmen hausen, ganz nah an dir vorbei fliegen und du den Flügelschlag hören kannst, dann ist das ein Gesamterlebnis, das man nicht mehr vergisst!” Der Kartoffelacker ist – entgegen den Befürchtungen von Edu – nicht kollabiert, nicht einmal ein Griff ist ausgebrochen, und Anna und Edu sind am späten Nachmittag gemütlich am Gipfelplateau ausgestiegen.

Es ist nicht unbedingt ein Zufall, dass Anna und Edu bei ihrem Riglos-Besuch auch Carlos García treffen, jenen Kletterer, dem 1989 die erste Free-Solo-Begehung der “Fiesta de los Biceps” gelang. Und dass man sich in erster Linie über diese Begehung unterhält, versteht sich von selbst. Sowohl Anna als auch Edu sind heute noch beeindruckt von diesem Solo, das als Meilenstein in die Geschichte des seilfreien Kletterns eingegangen ist. Vor allem, weil beide dem Gestein in den Wänden der “mallos” nicht trauen. Aber Carlos betont, dass er in jenen Jahren sehr oft hier kletterte und das Gestein sehr gut kannte.

Psychisch war für ihn der Free Solo kein Problem, wohl aber physisch – doch er war super trainiert in jener Zeit, hatte mit 22 Jahren gerade den Titel des spanischen Meisters im Wettkampfklettern gewonnen und strotzte – wie sollte es anders sein in diesem Alter – nur so vor Selbstvertrauen. Aber er erklärt Anna und Edu auch, dass man nur ganz selten im Jahr an den “mallos” free solo klettern sollte – dann nämlich, wenn es sehr lange Zeit trocken war und wenn es kühl ist. Und auf solch einen Tag hat er damals gewartet: “Das Gefühl droben in den Überhängen ist grenzenlos! Überhaupt nicht zu vergleichen mit dem Seilklettern. Du fühlst dich leicht, es gibt kein Seil, keine Expressschlingen. Es ist fast wie Bouldern – nur in einer ganz anderen Dimension.”

“In Gedanken versunken zieht der Fels an mir vorbei, und mit jedem Meter wächst mein eigenes Ich, wird größer, füllt sich mit grenzenloser Zufriedenheit. Ich fühle mich sicher, und während ich von Griff zu Griff klettere, träume ich meinen Traum von der Freiheit… In der sechsten Seillänge ragt ein großer Stein aus der Wand, groß genug, dass ich mich daraufsetzen und ausruhen kann. Von ihm aus sehe ich, was mich umgibt: der Himmel, die Wolken, die Vögel, der Fluss, die Sonnenstrahlen hinter den Mallos und kleine Punkte – Beobachter einer weiteren, neuen Episode in der Welt des Kletterns…” (C. García in “Desnivel” 48/1989)

Weder Anna noch Edu können sich auch nur im Entferntesten vorstellen, free solo durch die “Fiesta” zu klettern. Edu bringt es auf den Punkt: “Mir wäre das einfach zu gefährlich! Denn es kann immer mal ein Griff ausbrechen.” Aber beim nächsten RiglosBesuch würden beide die Route nochmals klettern wollen – vor allem Anna! Denn sie hatte das erste Mal von den wilden Türmen, die im einheimischen Dialekt liebevoll “Mugel” genannt werden, über ihre Eltern gehört.

Die hatten vor Jahren eine Route im rechten Wandteil geklettert und ihrer Tochter von der wilden Schönheit der Türme von Riglos und besonders von der Route “Fiesta de los Biceps” erzählt. Und nun will Anna zusammen mit ihrem Papa sobald als möglich nochmals nach Riglos fahren, um mit ihm “die geilste Kletterei dieser Art auf der Welt” nochmals zu erleben. Und damit ist sie bestimmt nicht allein – “Fiesta” steht auf der Wunsch-Traum-Liste ungezählter Kletterer – auf geht’s in die “Mallos de Riglos”…

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QuelleMammut, Fotos: Rainer Eder