Stefan Glowacz im Netzathleten Interview

Nils Borgstedt von den Netzathleten hat sich mit Stefan Glowacz über seine Motivation, den "Kick" und warum er nie ans Ziel kommt, unterhalten.

Netzathleten: Bist Du süchtig nach Extremen?

Stefan Glowacz: Süchtig – ich mag dieses Wort überhaupt nicht gerne; von irgendwas abhängig sein. Ich meine, jeder der irgendetwas sehr intensiv betreibt, der verbindet natürlich eine Leidenschaft für das, was er tut. In meinem Fall ist es eben das Extremklettern [http://www.netzathleten.de/Sportmagazin/Sportchannels/Extremsport/7083141568198760720/head]. Was mich treibt ist sicherlich die Neugier herauszufinden, wie man sich in Extremsituationen verhält und was man in der Lage ist zu leisten. Dabei muss aber Todesgefahr keine Rolle spielen. Eine Extremsituation kann auch sein, zwei Monate auf engstem Raum in einem Team zusammenleben zu müssen. Es ist sehr interessant, sich selbst dabei zu beobachten.

Netzathleten: Welche Charaktereigenschaften muss man mitbringen, um so extreme Klettertouren meistern zu können?

Stefan Glowacz: Die wichtigste Grundvoraussetzung ist natürlich die körperliche Leistungsfähigkeit. Die muss gegeben sein, da brauchen wir gar nicht darüber reden. Vor jeder Expedition muss man ein Anforderungsprofil erstellen, um genau zu wissen, auf was man sich speziell vorbereiten muss. Was kann ich gut? Was kann ich vernachlässigen? Und was kann ich eben nicht so gut? In welchem Bereich muss ich mehr trainieren? Ich denke, ein ganz wesentlicher Faktor – und zwar in allen Bereichen – ist die mentale Leistungsfähigkeit. Ich muss mich auch schon im Vorfeld immer wieder geistig mit dem auseinandersetzen, was ich vorhabe. Man muss sich das ganze Unternehmen immer wieder Abschnitt für Abschnitt visualisieren und in Gedanken durchspielen, um sich auf die Härte, die Ausgesetztheit, die Unannehmlichkeiten vorzubereiten und sie zu erspüren. Auf der anderen Seite ist das Visualisieren ein wichtiger Schritt, um auf Gefahrensituationen zu stoßen, an die man bei der analytischen Planung noch gar nicht gedacht hat.

Netzathleten: Du hast bereits die körperliche Leistungsfähigkeit angesprochen. Du selbst bist jetzt Mitte 40. Wie hältst du Dich fit?

Stefan Glowacz: Das ist für jedes Projekt verschieden. Am 25. Februar steht schon die nächste Expedition auf dem Plan. Wir werden nach British Guiana reisen. Dort müssen wir uns den Weg durch den Urwald zu einem 900 Meter hohen Tafelberg bahnen. Diese Wände wollen wir dann auf einer neuen Route durchsteigen und dann auf Venezolanischer Seite absteigen. Ich analysiere auch dieses Projekt, schaue, was am meisten gefordert ist und bereite mich gezielt darauf vor. Klar ist aber natürlich auch, dass man solche Leistungshöhepunkte nicht mehr so lange halten kann wie mit 16 oder 20. Ich muss mich inzwischen wesentlich gezielter auf die Unternehmungen vorbereiten und immer genügend Regenerationszeit dazwischen lassen. Die Regenerationszeit wird, obwohl ich fast täglich trainiere, schon immer länger im Alter.

Netzathleten: Wie sieht so ein Training aus?

Stefan Glowacz: Momentan mache ich, wie zu jedem Jahresanfang, einen reinen Kraftblock. Ganz normales Krafttraining im Studio, um die Muskelgruppen, die beim Klettern nicht so stark beansprucht werden, also gerade die Gegenspieler, wieder zu trainieren. Auch eine gewisse Beweglichkeit muss immer wieder trainiert werden, um Verletzungen vorzubeugen. Das betrifft vor allem den Schulterbereich. In einer zweiten Phase geht's Richtung Grundlagenausdauertraining. Im Sommer, wenn es dann wieder ans schwere Klettern geht, baue ich dann wieder kletterspezifisches Krafttraining und Schnellkrafttraining [http://www.netzathleten.de/Sportmagazin/Lexikon/Schnellkrafttraining/6133506767852407565/head] mit ein.

Netzathleten: Du hast zusammen mit Deiner Frau Drillinge, schon wieder ein Extrem, wenn auch auf eine andere Art und Weise. Wie schwer fällt es Dir, die Familie immer wieder “alleine” zu lassen und sich auf gefährliche Expeditionen zu begeben?

Stefan Glowacz: Wir versuchen natürlich, Risiken schon im Vorfeld soweit wie möglich auszuschließen. Es ist aber auch immer eine Gratwanderung. Wenn ich längere Zeit zu Hause bin, sehne ich mich wieder nach dem Aufbrechen beziehungsweise freue mich richtig darauf. Ich bin einfach von meine Grundcharaktereigenschaften eher ein Nomade. Ich bin unheimlich gern unterwegs, bin unheimlich gern auf Reisen. Mir macht es nichts aus, wenn ich lange in einem Zelt schlafen muss oder nicht weiß, wo ich am Abend übernachten werde. Wenn man dann unterwegs ist, sieht man natürlich auch mal von außen auf seine familiäre Situation und es wird einem bewusst, wie wichtig auch dieser familiäre Rahmen ist.

Netzathleten: Wie kommt Deine Familie damit klar, dass Du immer wieder für längere Zeit nicht daheim bist?

Stefan Glowacz: Sie kennen mich ja nicht anders. Für die ist das ganz normal, dass ich dann mal wieder für eineinhalb Monate auf Expedition bin. Die gehen sicher am besten damit um, aber natürlich ist es auch schwierig. Sie wissen ja, dass das, was ich mache, nicht absolut risikolos ist. Es erfordert schon sehr viel Größe und sehr viel Toleranz, mit so jemandem wie mir zusammen zu leben.

Netzathleten: Jetzt hast Du angesprochen, dass Du Dich immer wieder nach dem Aufbruch sehnst… Nervt Dich Alltag?

Stefan Glowacz: Nein, das möchte ich überhaupt nicht sagen. Ich kann den Alltag wesentlich besser genießen, wenn ich immer wieder mehr oder weniger aus diesem Alltag ausbrechen kann. Alltag ist aber extrem wichtig. Beispielsweise, wenn man sich um die Kinder kümmert. Vor allem aber auch, wenn man ein bestimmtes Training absolvieren muss, bei dem man an einen bestimmten Ort gebunden ist, wie zum Beispiel das Krafttraining. Ohne Alltag, ohne alltägliche Strukturen, wäre so ein Training gar nicht möglich. Man muss seinen Tag planen, muss das einplanen. Ich genieße auch das sehr. Vielleicht aber auch aus dem Grund, da ich genau weiß, es geht bald wieder los.

Netzathleten: Beschreibe doch zum Abschluss bitte in fünf Stichworten den Menschen Stefan Glowacz.

Stefan Glowacz: Oh, das ist schwierig (lacht). Ungeduldig, leidenschaftlich, besessen, ehrgeizig, sehnsüchtig.

Netzathleten: Danke für das nette Gespräch, hat mir viel Spaß bereitet. Viel Erfolg für alle kommenden Expeditionen.

Stefan Glowacz: Danke, gerne.

Das Interview führte Nils Borgstedt

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QuelleNils Borgstedt, Foto: Picture Alliance