Im Sog der Tiefe – Andreas Bindhammer wiederholt "Abysse" (9a)

AndiVier Wochen nach seiner Begehung von “TripTikTonik” 8c+ kehrt Andreas Bindhammer im Oktober in den Sektor Deverse bei Nizza zurück und holt sich zwei Wochen später die erste Wiederholung der von Alexandre Chabot 2005 eingerichteten und Ende Juli dieses Jahres erstbegangenen Route Abysse 9a.

Die vollständig natürliche, etwa 20m lange Linie nutzt eine Reihe von Sinterstrukturen durch ein 60° überhängendes Dach und verläuft danach an der einzigen verbleibenden, sehr offenen Sinterfahne durch die 45° steile Abschlusswand.

Die Charakteristik der Route stellt extreme Anforderungen an die Maximalkraftausdauer: Beginnend mit einem Einstiegsboulder, der gleich mit dem ersten Zug der Route beginnt, wobei man sich beim Einhängen des zweiten und dritten Hakens keine Fehler leisten sollte – das Risiko, beim Sturz einen „Grounder“ hinzulegen liegt bei nahezu 100%…

Im Anschluss folgt anhaltend athletische, technisch anspruchsvolle Kletterei durch das Dach, bis zu einem guten Zangengriff kurz vor der Kante, den man je nach Lösung nach etwa 26 Zügen erreicht – kurzes Durchatmen…

Nun folgt die Schlüsselsequenz der Route – 8 Züge an extrem runden Zangen bei äußerst spärlichen Trittmöglichkeiten. Den Abschluss der Passage bildet ein Dynamo an die sich etwas zurück neigende Sinterfahne.

Die Abschlusspassage mit ihren 6 Zügen erfordert nochmals Durchhaltevermögen – zu langes Zögern kann schnell ein Versiegen der Kraftreserven bedeuten.

ABYSSE (9A)
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Andreas berichtet vom Herantasten an die Züge, das Optimieren der Lösung, über die Erfolge und die Rückschläge auf dem Weg zur erfolgreichen Begehung:

Startvorbereitungen…

„Nach meiner Begehung von TripTikTonik suchte ich nach neuen Herausforderungen – was lag also näher, als das jüngste Testpiece im Sektor Deverse… Zwei Tage Ausbouldern der Route und ich hatte schließlich eine Lösung, um die einzelnen Passagen klettern und alle Haken einhängen zu können. Nun galt es, diese Lösung zu optimieren.“

Erste Erfolge

Andi„An Tagen mit guten Bedingungen konnte ich schon bald bis zur Dachkante klettern und von der guten Zange dort noch zwei Züge machen – bis dahin dürften die Schwierigkeiten etwa bei 8c liegen. Nach kurzem Hängen von dort zum Umlenker zu klettern war mir meistens möglich – die Passage würde ich einzeln mit 8b+ bewerten.“

Doch nun gingen die Fortschritte nur noch langsam voran – Andreas musste einige Rückschläge einstecken.

„Zunächst brach mir ein entscheidender Tritt im Abschluss der Schlüsselpassage aus und ich musste meine Lösung umstellen. Nach meiner Rückkehr Mitte Oktober bescherte mir einsetzender Dauerregen tagelang nasse Griffe bis zur Dachkante.

Ich gab nicht auf, und konnte trotz Nässe bis in die Schlüsselpassage vordringen. Mir gelangen zwei Versuche, bei denen ich beim Abschlussdynamo an den flachen Sinter in die Tiefe gesogen wurde. Gerade als wieder Hoffnung aufkam, die Route endlich bezwingen zu können, brach mir ein Teil des wichtigsten Trittes am Beginn der Schlüsselpassage aus…“

Aufgeben? Oder doch Dranbleiben?

„Meine Lösung war nun dermaßen erschwert, dass ich zwei Tage lang nicht mehr annähernd die Höhe meiner besten Versuche erreichen konnte. Für mich war klar: sollte ich vor dem Ausbruch eine 9A versucht haben, dürfte es jetzt auf jeden Fall 9A/A+ sein. Ich war wirklich schon am Zweifeln, ob ich die Route jemals schaffen könnte…“

Dranbleiben! Und schwerer klettern, als jemals zuvor…

„Nach zwei Tagen Pause (ich hatte am Tag zuvor 5 Versuche gemacht und war völlig zerstört) kam ich dann zurück an den Ort der ständig wiederkehrenden Abflüge – die erste Passage war inzwischen immerhin wieder trocken. Dafür sorgte sommerliche Hitze und absolute Windstille für konstantes Scheitern in der Schlüsselpassage. – Am darauf folgenden Tag, es war der 26.Oktober – der erste Versuch war bereits gescheitert und ich hatte meine Hoffnung eigentlich schon begraben – kam der aus den vergangenen Jahren bekannte starke Wind auf und bescherte mir die Top-Bedingungen, auf die ich immer gewartet hatte…

AndiTrotz einiger Schwierigkeiten im unteren Bereich trocknete der Wind die Finger in der Schlüsselpassage und ich konnte den Abschlussdynamo kontrollierter ansetzen als die Male zuvor und blieb am flachen Sinter hängen. Die letzten sechs Züge spulte ich ab wie in Trance – ein leeres Gefühl beim Einhängen des Umlenkkarabiners zeigte an, dass es höchste Zeit war – geschafft! Ich ließ all der Anspannung der letzten Tage freien Lauf und sie in die Schlucht erschallen…“

Andreas über die Schwierigkeiten der Route:

„Abysse war durch ihren kompromisslosen Charakter – keinerlei Ruhepunkt auf 40 Züge – eine absolute Herausforderung für mich. Durch die nach und nach durch reduzierte Trittauswahl in der Schlüsselpassage während meiner Versuche, halte ich sie nun für die schwerste Route, die ich bisher klettern konnte – im Vergleich zu KinematiX oder Ground Zero, die beide mit 9A bewertet sind, sehe ich persönlich bei Abysse eher Tendenzen in Richtung 9A/A+. Doch eine definitive Aussage darüber werden sicher zukünftige Wiederholer bringen… Abysse ist jedenfalls einen Besuch wert – komplett natürliche Routen in diesem Schwierigkeitsbereich sind ja doch eine Seltenheit…“

Hier findet ihr einen kleinen Video-Teaser von Andreas Bindhammer in Abysse (9a)

Der komplette Film und Aufnahmen vieler Spitzenkletterer in einigen der bekanntesten und schwersten Routen Europas erscheinen übrigens 2007 auf DVD bei 9d Video. Weitere Filme von Marc Cotto bei www.tvmountain.com

Dass der frisch gebackene Deutsche Meister derzeit in bestechender Form ist, beweisen auch seine weitere Erfolge am natürlichen Fels. So konnte Andreas inzwischen auch “L'Ideal Cimerique”, 8c/c+ in St.Leger wiederholen und vor der Begehung von “Abysse” gelang ihm – neben der bereits erwähnten Begehung von “TripTikTonik” (8c+) – auch noch “La Mangousta” (8c) in Nago/Arco.

Aktuelle Infos und Topos über die Klettergebiete in Frankreichs Südosten finden Sie auf der Seite von Philppe Maurel:
www.nice-climb.com

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Siehe auch:
Juliane Wurm und Andreas Bindhammer sind die Deutschen Meister 2006
www.masterrange.de
www.andreas-bindhammer.de
www.nice-climb.com
www.kairn.com
www.tvmountain.com
www.edelrid.de

QuelleText: Andreas Bindhammer, Masterrange, Fotos: Philippe Maurel