Zusammen mit den zwei 9a aus den ersten beiden Gebieten der "Bildbandreise" kann man von einem guten Start in die 12 Monate Europa sprechen.
Fotostrecke: Pirmin Bertle in Aktion
Wir schreiben Mitte Dezember und wenn ich auf eines eigentlich keinen Bock mehr habe, dann auf klettern. Denn es regnet und schneit in der Türkei und die Luft ist raus. Viel geklettert, viel gereist, viele Fotos gemacht, viele Texte geschrieben und Interviews geführt. Die Zeichen stehen auf Pause, auf Weihnachtsferien in der Zivilisation.
Würde mir jetzt jemand erzählen, dass ich zum Ende der zwei Wochen Türkei doch noch "Devers Royale", das ich aufgrund all der oben genannten Faktoren schon abgeschrieben habe, punkten sollte, ich hätte ihn höchstens müde angelächelt und wäre wieder hinter meinen Laptop oder meinem Buch versunken. Aber dieser jemand hätte recht behalten und ich mich noch ordentlich wundern.
Am letzten Tag in Geyikbayiri sollte ich mich wirklich im Durchstieg durch die letzten Meter der Route zur Kette schrauben. Sogar mit noch gut Luft zum eigenen Limit. Und alles nur dank einer Woche ordentlich versiffen. Wundersame kleine Sportkletterwunder.
Wobei ich das mich Wundern eigentlich gelernt haben sollte. Die intensivste Lektion hatte mir Kalymnos nur zwei Wochen zuvor erteilt. Nach fünf Wochen mit ganz schlimmen Kletterwetter – stets mehr als 20°, praktisch nie unter 65% relativer Feuchte und nicht mal den sonst obligaten Wind – hatte der Wind am letzten Tag auf Nord gedreht und bei genialen Bedingungen mir plötzlich das Feld bereitet mich zu rächen an den ganzen genauso vergeblichen, wie überflüssigen Versuchen in "Inshallah" und "Gora Guta Gutarak".
Denn mit diesem Wind hätte ich die beiden wohl schon zwei Wochen früher in der Tasche gehabt. Doch halb so schlimm, wenn die Rache so süß zergeht auf der Zunge. Innerhalb von nur einem Nachmittig durfte ich beide Ketten klippen und mir die Stimmbänder rau jubeln.
Das schnellste Wundern – nachdem man in Kalymnos höchstens von spätem aber sicher nicht schnellem Wundern sprechen kann – wäre beinahe Mitte Oktober in den Gorges du Tarn – der vierten Station unserer Reise – über mich gekommen. "Mehw power", eine wunderbare Lochlinie und seit über 10 Jahren Projekt, im Sektor "Grand toît" hatte es mir gleich angetan.
Und auch ich hätte es ihr fast gleich angetan: Und zwar nach 10 Jahren zähstem Widerstand im fünften Versuch geklettert zu werden. Aber ich konnte das Einfingerloch an der Crux nicht halten und zerstörte im gleichen Versuch einen wichtigen Tritt. So musste ich also noch mal einen Tag mehr hin und musste mich dann doch ein wenig wundern, warum eine solche Route 10 Jahre Projekt bleibt.
Deutlich schwerer als die 8c's in der Schlucht ist sie aber definitiv und so entsprach ich der Local-Empfehlung und gab 8c+ für diese Erstbegehung, die sicher eine meine schönsten ist.
Die zeitlich erste Geige im 8c+ – Quintett hatte mich schon Ende September in Céüse bezirzt. "La part du diable", eine der besten Linien im besten Sektor des Wandriegels: Biographie. Komplett natürlich und eine der wohl perfektesten Lochklettereien, die Kletterer sich vorstellen traut. Das Projektieren verlief eigentlich ganz normal, wundern musste ich mich höchstens über die Schärfe der Lochränder.
Aber damals, Anfang Oktober, war ich auch noch Erstsemester in den Lehren des sich Wunderns. Heute wundert mich dagegen gar nichts mehr. Auch nicht, dass ich in Spielereien wie dem globalen 8a.nu – Ranking auf Platz drei gelandet bin und nach sechs für unseren Bildband besuchten Gebieten in vier die jeweils schwerste Route vor Ort gepunktet habe."
Weitere Infos für alle Interessenten am "Passion verticale" – Bildband, der im Herbst 2011 bei Geoquest erscheinen wird – gibt es unter http://passion-verticale.blogspot.com und bald auch unter www.lizardclimbing.com. Das Projekt wird von Scarpa unterstützt.