Pirmin Bertle veröffentlicht seine erweiterte Saisonbilanz

Zahlenspiele. Als ich klein war – so mit 6 Jahren – hatte ich einen Plastikeimer, mit dem in der Hand ich herumlief und möglichst viel Kleingeld einzutreiben versuchte. Mein Guthaben verglich ich dann mit dem Eimerinhalt meiner Schwester.

Fotostrecke: Saisonbilanz von Pirmin Bertle

Nachdem ich jahrelang einfach nur zum Spaß geklettert war, beschlich mich vor 14 Monaten nun von Neuem das sogenannte “Kapitalismusvirus” (H3N8). Ich begann meinen Eimer mit diesmal noch weniger gegenständlichen Zahlen zu füllen. In der Folge ein kurzer Bericht über den Verlauf der Erkrankung (Wie das Virus erneut von mir Besitz ergriff).

Ein erstes Aufblitzen im März 2009, das sich in starken Raffsuchtanfällen symptomatisiert. E la nave va piu avanti, eine 50m Fb8c-Traverse im Lindenthal. Après heros, 8c+ in St. Triphon. Viel Zahl für den Grad. Das Virus hat sich unbemerkt eingenistet. Die nächsten Monate verlaufen ruhig, nur ein falsch diagnostizierter 8c-Anfall (La bête humaine). Dann ein erneutes Aufblitzen. Zwei 8c in einer Woche (Excellence und Vive la crise).

Ab jetzt kommen die Schübe ca. alle vier Wochen, aber außergewöhnlich heftig. Marcophil, 8c, Le maraudeur, 8b+/8c, Cryptocommunistes, 8b+/8c, Aquarius, 8b in 8 Tagen. Vier Wochen später I shot the sheriff, 8c+, Projet X, 8c+, beide stark überdiagnostiziert, Psychose, 8c, Le roi lézard, 8c+, beide eher das Gegenteil, in 9 Tagen. Das Virus mag trockenes, einigermaßen mildes Wetter. Ein letztes Mal blüht es in einer guten Woche Südfrankreich auf. Die Intensität ist allerdings bereits moderater geworden. Tendinite, 8c und drei 8b+ in Tarn und Claré. Im Urlaub fühlt sich manches schlimmer an, als es ist.

Feuchtkaltes Wetter im Herbst scheint den Verlauf dann langsam abzumildern. Im Winter bekomme ich die Diagnose “Symptomfrei”. Aber kann ich wirklich auf Heilung hoffen, oder unterkühlt nur das Eis in den Wänden meine Gier?

Besessen ist besessen und so kommt das Zahlenfieber mit dem Frühjahr wieder. Obwohl es zunächst so aussieht, als enthielte der Konglomerat in Margalef den Antikörper. Fast hätte ich es ohne Anfall wieder nach Hause geschafft.In der letzten Woche trifft es mich aber gleich fünf Mal. Los ultimos vampiros hippis, 8c, La puta rue, 8b+, viel Grad, wenig Zahl und drei weitere 8b”s. Am ersten Klettertag zuhause zudem Abus de confiance, 8c.

War das das vorerst letzte Aufbäumen des Virus gegen meinen Körper, der mit der Macht der Normalität das Fieber zu erdrücken versucht? Es sieht so aus, nochmals wird es kalt. Im März nur eine 8b+. Dann sogar ein ganz normaler Osterurlaub in Spanien. Nur 8b's und 8b+”s. Sogar beim Anblick von schweren Routen kann ich plötzlich ruhig bleiben. Klettere ich wirklich wieder zum Spaß? Nicht für eine leere Zahlenmasse?

Vielleicht, denn was dann folgt ist nicht mehr Masse, sondern Qualität. Force du rapport, 9a ist eine der Herausforderungen, von denen pro Jahr zehn (und so genug, um in schwedischen Rankings den höchstmöglichen Punkteschnitt zu erreichen) zu klettern nur unter perfekten Bedingungen möglich ist. Und bei der wieder der Prozess des Projektierens und nicht die Zahl der Versuche in den Vordergrund rückt.

Ich wurde ihn wieder los, den Kapitalismusvirus, damals als ich klein war. Aber erst nach ein paar Jahren. Vielleicht werde ich ihn diesmal schon diesen Sommer wieder los. Man wird sehen. Im Grunde aber kann er auch bleiben, oder ab und zu wieder kommen, heute, da ich nicht mehr eine begrenzte Ressource an mich raffe. Und sich meine Form verhält, wie Notenbanken in Zeiten der Inflation.

Nach Abschluss seines Bachelors im Sommer plant Pirmin ein 12-monatiges Kletter-, Photobuch- und Filmprojekt in Europa. Dafür sucht er neben Scarpa, von denen er seit einigen Jahren unterstützt wird, weitere Partner für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Interessenten sind herzlich willkommen, ihn unter themoove@gmx.de zu kontaktieren!

Die komplette Routenliste findet ihr unter 8a.nu und demnächst unter www.lizardclimbing.com

QuellePirmin Bertle