Die Kombination aus einem noch komplett jungfräulichen Gipfel und anspruchsvoller Kletterei ist nicht alltäglich, sind doch gerade die unbestiegenen Berge klettertechnisch oft weniger reizvoll.
Der Lunag Ri präsentiert sich aber von allen Seiten äusserst schwierig, weshalb auch bisher alle Expeditionen an diesem Granitgiganten – der letzte Versuch liegt mindestens zwei Jahre zurück – gescheitert sind.
Der Österreicher David Lama wollte den Berg gemeinsam mit seinem Himalaya-erfahrenen Kletterpartner Conrad Anker aus Amerika über eine neue Route durch die Nordwestwand erstbesteigen.
Fotostrecke: David Lama und Conrad Anker am Lunag Ri in Nepal
Perfekte Wetterbedingungen bis zur Errichtung des Basislagers und während der Akklimatisierung ließen die Erwartungen des Duos entsprechend steigen. Nach nicht einmal zwei Wochen im Basecamp waren sie bereit für einen Gipfelversuch.
“Weil im unteren Bereich der Wand kaum Schnee und Eis zu finden war, was auch die Steinschlaggefahr erheblich vergrösserte, mussten wir von unserer geplanten Aufstiegslinie absehen und eine andere Linie durch sehr viel steileres und schwieriges Gelände wählen.”
So fasste die österreichisch-amerikanische Seilschaft den Plan, über eine steile Felswand zum Nordwestgrat aufzusteigen, um von dort aus am nächsten Tag einen Gipfelversuch zu starten. Nach anspruchsvoller Kletterei erreichten die beiden am frühen Nachmittag den Grat, der durch schlechte Sicherungsmöglichkeiten und grundlosen Schnee gekennzeichnet war.
Die Ausgesetztheit war dafür entsprechend spektakulär. “Die Kletterei war durchwegs anspruchsvoll und komplizierter als wir gedacht hatten. Es gab keine einzige Seillänge, die man einfach raufspaziert.” so Conrad Anker.
Mit nur einem Tag akzeptablen Wetterbedingungen vor sich, startete das Duo nach einem eiskalten Biwak auf etwa 6000 Meter Höhe um 2 Uhr morgens den Gipfelversuch. Um schnelleres Vorankommen zu ermöglichen, beschlossen Lama und Anker alles auf eine Karte zu setzen und das Biwak Material zurückzulassen. Nach zwölf Stunden Kletterei über den ausgesetzten Grat trennte die Seilschaft nur noch die 300 Meter hohe Headwall vom heiß ersehnten Ziel.
Video: High Spirits in Nepal
Doch es trat ein, was die beiden schon länger befürchtet hatten: Der Gipfel lag an diesem Tag außer Reichweite und ein oder vielleicht sogar zwei Biwaks ohne Zelt und Schlafsäcke bei -25°C und starkem Wind war einfach zu riskant. Auf dem Spiel standen weit mehr als nur Finger und Zehen. Auch wenn die Entscheidung schwer fiel, war man sich einig: Ein Rückzug war die einzig richtige Option.
Da der Österreicher mit nepalesischen Wurzeln und sein 53-jähriger Kletterpartner beim Abstieg zu einem zeitaufwändigem Mix aus Abseilen, Abklettern und Ausqueren gezwungen wurden, erreichten sie erst spät in der Nacht den Biwakplatz, der Schutz vor Kälte bot. Auch am dritten Tag mussten sie aufgrund von Steinschlaggefahr mit dem finalen Abseilen warten bis die Sonne weg war.
“Hätten wir den Gipfel noch in der Tasche gehabt, wäre unsere Tour perfekt gewesen,” fasst David Lama zusammen. “Dafür haben wir unsere Finger noch, die wir am Weg runter in unser Lager immer wieder in unseren Hosentaschen wärmen konnten und die auch bei unserem neuerlichen Versuch nützlich sein dürften. Diesen haben wir bereits für nächstes Jahr ins Auge gefasst.”
Eine Dokumentation zum Erstbegehungsversuch des Lunag Ri durch David Lama, der im Zuge dieser Expedition auch das Heimatdorf seines Vaters besucht hat, wird Ende 2016 im Bergwelten Format auf Servus TV zu sehen sein.
Siehe auch:
www.david-lama.com
www.conradanker.com