Interview mit Andreas Bindhammer

Gratulation zu dieser großartigen Leistung! Ist La Novena Enmienda nur eine weitere Route auf deiner Liste oder was hat dich an der Route fasziniert?

Ich habe mich dieses Jahr fast ausschließlich mit kurzen Routen mit maximal 15 Metern Länge und Bouldern beschäftigt. Ich wollte endlich wieder “richtig” klettern. Da kamen mir Oliena oder Santa Linya in den Sinn. In letzterem Gebiet war ich bereits 2006 für zwei Tage und fand die Routen durch dieses riesige Dach enorm beeindruckend. Normalerweise bevorzuge ich ja Routen mit Maximalkraftausdauer-Charakter, bis zu 40 Züge lang, ohne echte Ruhepunkte. Ich glaube, ich wollte einfach mal wissen wie es sich anfühlt, eine 55m lange Route mit fast 120 Zügen zu klettern…

Und – wie fühlt es sich an?

Ich war wirklich überrascht. Anfangs hat es mich enorm gestresst überhaupt einzusteigen in Anbetracht der fast halbstündigen Kletterzeit. Das lag daran, dass ich mich an den Ruhepunkten nicht wohlgefühlt habe und ständig voll angespannt war. Irgendwann kam dann der Punkt, dass ich mich am Ruhepunkt wirklich ausruhen konnte, entspannt war und fühlte, wie die Kraft wieder zurück kam.Man sieht dann beim Einsteigen nicht mehr eine halbe Stunde Kletterzeit und die gesamte Kletterstrecke, sondern nur die Teilroute bis zum nächsten Ruhepunkt, auf die man sich voll und ganz konzentrieren kann. Dort erholt man sich und konzentriert sich auf den nächsten Teil. Irgendwie war's als würde ich vier schwere Routen hintereinander klettern, mit kurzen Pausen dazwischen. Beim Durchstieg war ich ehrlich gesagt nur mit einer Sache beschäftigt: nicht auszukühlen und das Gefühl in meinen Fingern zu bewahren…

Worin siehst du die Schwierigkeiten der Route? Was macht ihren Charakter aus?

Ihre Länge macht die Route wirklich einzigartig. Sie ist vom Einstieg weg schwer und auch die allerletzten Züge erfordern volle Konzentration. Die Schwierigkeit liegt darin, eine gute Ausdauergrundlage zu haben, um sich an den Ruhepunkten erholen zu können und dennoch genügend Maximalkraft für die Boulderpassagen. Das hat mir anfangs schwer zu schaffen gemacht.

Die Route war ja ursprünglich als 9a+/b bewertet. Inzwischen hat sie sich als 9a+ etabliert. Wie siehst du die Schwierigkeit von La Novena Enmienda in Bezug auf andere Routen, die du schon geklettert bist?

Durch ihre enorme Länge und Steilheit kann man die Route eigentlich mit keiner meiner bisherigen Wiederholungen oder Erstbegehungen vergleichen. Am ehesten noch mit La Rambla, die aber nicht ganz so steil ist. Die Anstrengung, die notwendig ist, eine dieser Routen zu klettern, ist in etwa vergleichbar. Somit sollte die Bewertung mit 9a+ nicht gänzlich aus der Luft gegriffen sein, zumal auch internationale Größen wie Chris Sharma, Patxi Usobiaga und Edu Marin diese Bewertung bestätigt haben. Trotz der vielen hochkarätigen Besucher, die die Höhle von Santa Linya regelmäßig frequentieren, hat die Route bisher gerade mal eine Hand voll Wiederholungen. Damit steht jedenfalls fest, dass sich das Niveau der Route im 9a-Bereich bewegen dürfte.

In Spanien gibt es inzwischen eine enorme Anzahl an 9a-Routen, während sie bei uns in Deutschland an einer Hand abgezählt werden können. Wird dort leichter bewertet oder was verursacht diese Entwicklung?

Meiner Erfahrung nach wird in Gebieten mit höherer Dichte an Routen in den oberen Schwierigkeitsgraden härter eingestuft als in Gebieten, in denen nur wenige schwere Routen existieren. Der Grund für die enorme Anzahl an Routen im 9a-Bereich in Spanien ist hauptsächlich ein Resultat der besseren Voraussetzungen. Während sich bei uns überwiegend kleine Massive von bis zu 15m Höhe mit bis zu 20 Routen finden, findet sich in Spanien oft konstant überhängendes Gelände mit bis zu 50m Höhe und teilweise mehreren 100m Breite.Dazu kommen ganzjährig trockene Verhältnisse. Vor allem in den Wintermonaten gibt es häufig perfekte Bedingungen. Viele Kletterer aus der Weltspitze sind dort regelmäßig über einen längeren Zeitraum am Fels aktiv, so dass die Entwicklung in den spanischen Klettergebieten natürlich entsprechend schneller voranschreiten kann als anderswo.

Wie erreicht man das Niveau 9a klettern zu können? Gibt es dafür eine bestimmte Trainingsmethode oder ist es eine bloße Talentfrage?

Es ist sicher eine Kombination aus beidem. Ein talentierter Kletterer ohne Trainingsdisziplin wird keine sportlichen Höchstleistungen bringen. Genauso wird jemand, der permanent “mit der Brechstange” vor sich hin trainiert ohne unterschiedliche Trainingsreize zu setzen und sich mit neuen Bewegungsaufgaben zu konfrontieren auf Dauer keinen Erfolg haben.Talent kann also einerseits bedeuten von Grund auf mit einem guten Bewegungsgefühl oder einem guten Kraftniveau gesegnet zu sein, andererseits kann es auch die Fähigkeit sein, für bestimmte Zielsetzungen die optimale Trainingsform zu finden und diese konsequent umzusetzen und so seinen Körper an die spezifischen Anforderungen anzupassen. Beides kann einem ermöglichen 9a zu klettern.

Spielt auch die mentale Komponente eine Rolle, um Höchstleistungen am Fels zu bringen?

Sicher spielt sich ein großer Teil der Aufgabe im Kopf ab. Sich nicht zu sehr unter Druck setzen, sich kleine, auf die jeweiligen Bedingungen angepasste Zwischenziele stecken wären hier zwei Ansätze. Bei meinen Versuchen in La Novena Enmienda war es beispielsweise an einem warmen oder feuchten Tag schon ein großer Erfolg, den ersten Teil klettern zu können und im oberen Teil 2-3mal zu hängen.Wer nur bei besten Bedingungen antritt, weil er sonst mit den Rückschlägen nicht klar kommt, wird vermutlich nie in den Bereich der persönlichen Höchstleistung vordringen und sich selbst ausbremsen. Im Grunde ist das Wichtigste, das Optimum aus der aktuellen Situation herauszuholen und dabei den Spaß am Klettern nicht zu verlieren.

Du hast einmal auf die Frage, was du als deinen bisher größten Erfolg betrachtest geantwortet, es sei der Umstand Beruf und Klettern in Einklang gebracht zu haben. Wie funktioniert dieses Gleichgewicht?

Im Grunde ist es ein Kompromiss: der Tagesablauf ist aufgeteilt zwischen Beruf und Sport: Vormittags arbeiten, nachmittags trainieren/klettern, abends wieder arbeiten. Die Arbeitszeit beansprucht 8-10 Stunden täglich, die Zeit für den Sport etwa 4-6 Stunden. Egal ob ich unterwegs bin oder zu Hause.Ein Tag ohne Internetanschluss ist dadurch leider nahezu undenkbar und würde für mich enorme Einbußen bedeuten. Ein Kompromiss, mit dem ich leben kann , da er mir trotz der permanenten Belastung große Flexibilität ermöglicht.

Wie sehen deine Pläne in nächster Zeit so aus?

Bisher habe ich noch keine konkreten Pläne. Mal sehen, was sich so ergibt. Ab Dezember ist erst einmal Wintertraining angesagt. Vielleicht werde ich danach dem spanischen Fels mal wieder einen Besuch abstatten…

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QuelleAndreas Bindhammer (Infos), Fotos: Frank Kretschmann